Unterwegs mit dem Wanderschäfer

Kategorien Luzern, Menschen, Tiere, Tradition

Friedlich grasende Schafe soweit das Auge reicht. Mitten drin: Ernst Vogel. Mit rund 1000 Schafen, zwei Eseln und zwei Hunden wandert der Wanderschäfer von November bis März über die Felder des Luzerner Mittellandes. Ich habe dem Luzerner Wanderschäfer einen Besuch abgestattet, als er gerade auf dem Sonnenberg Rast machte.

Ernst Vogel lässt den Blick über seine Herde schweifen. Er kennt sie alle. «Alle tausend?», frage ich mit grossen Augen. Der gelernte Landwirt lacht: «Einmal plagte mich das Gefühl, dass mir einige Schafe fehlen. Ich wusste nicht genau welche Schafe, aber ich wusste instinktiv, dass sie sich nicht in meiner Herde befanden. Am Abend rief mich der Bauer, auf wessen Wiese wir gerade rasteten, an und erzählte mir, dass er soeben vier Schafe hinter seinem Stall gefunden hätte. Ich hatte also Recht.»

Eine von wenigen Wanderherden in der Schweiz

Vor rund 18 Jahren hat Ernst Vogel die Wanderherde von seinem Nachbarn übernommen. Heute ist er einer von noch circa 15 Wanderschäfern in der Schweiz, wobei sich drei Herden im Kanton Luzern befinden. Jeweils Mitte November beginnt er seine Reise im heimischen Schwarzenberg. Zusammen mit zwei Hirten ist Ernst dafür verantwortlich, dass sich die Schafe täglich mit frischem Gras die Bäuche vollschlagen können.

Über den Sonnenberg zieht die Herde nach Hellbühl, weiter nach Neuenkirch und schliesslich einmal um den Sempachersee bis nach Nottwil. Nach einer Rast in Ruswil Mitte März, kehren die Schafe wieder auf den Heimbetrieb in Schwarzenberg zurück. Den Sommer verbringen die Schafe schliesslich auf der Alp Unteralp in Andermatt.

Doch warum wandert man überhaupt für vier Monate von Weide zu Weide? «Die Schafe müssen über den Winter an Gewicht zunehmen, damit sie im Frühling geschlachtet werden können», erklärt mir Ernst sachlich. Das rein grünlandbasierte Fleisch wird anschliessend als «Zentralschweizer Lamm» zum Verkauf angeboten. Ausserdem sei es zu geld- und platzintensiv 1000 Schafe einen Winter lang bei sich unterzubringen und durchzufüttern.

«Und was ist mit der ganzen Wolle?», will ich wissen, während mich ein sehr flauschiges Schaf misstrauisch von der Seite mustert. «Die kannst du gerne haben» antwortet mir Ernst mit einem verschmitzten Lachen. Das sei für ihn nur ein Verlustgeschäft.

Just in diesem Moment wird das Gebimmel in der Herde lauter. Ein Schaf schlängelt sich durch die natürliche Barriere von Bäumen hindurch zur Strasse hinauf. Ein Dutzend Schafe folgen dem Abtrünnigen sofort. Schafe sind extreme Herdentiere. Entfernt sich ein Schaf etwas von der Gruppe, folgt ihm sogleich der ganze Haufen. «Jetzt wird es spannend», verkündet Ernst und nickt mit dem Kopf in Richtung Strasse, wo sich einer der Treibhunde bereits in Gang gesetzt hat um die flüchtigen Schafe wieder in die Herde zurück zu scheuen. Nach ein paar Minuten kehrt wieder Ruhe ein und die Schafe zupfen unaufgeregt an ihren Grasbüscheln herum.

Vom Wolf und vom Salz

Während Ernst Eselstute Fiona zwischen den Ohren krault, plaudern wir über das Leben eines Wanderschäfers. Natürlich sei es manchmal hart, aber draussen in der Natur zu sein und mit den Tieren arbeiten zu können, gäben ihm ganz viel Motivation zurück. Ausserdem sei das Hirtentum ein uraltes und traditionsreiches Metier. Mit einem Zwinkern fügt Ernst hinzu: «Schliesslich waren wir die ersten die bei der Geburt Jesu zu Besuch waren.»

Immer mit auf Wanderschaft: die beiden Eselstuten Fiona und Lola. Sie helfen Ernst Vogel das ganze Material, wie Zaunpfähle und Schnüre zu tragen.

Sorgen machen ihm eigentlich nur zwei Dinge. Einerseits der Wolf, da er seine Schafe in den Sommermonaten auf der Alp seit einigen Jahren nicht mehr durch seine Herdenschutzhunde schützen darf.

Andererseits sei das Salz ein Problem. «Das Salz?» , frage ich verdutzt nach. «Du musst wissen, Schafe nehmen durch ihre Nahrung viel zu wenig Salz auf und trinken normalerweise auch nichts. Die wenige Flüssigkeit die sie brauchen, entnehmen sie den saftigen Gräsern die sie fressen. Verteilt der Winterdienst dann Salz auf den Strassen, lecken die Schafe dieses gierig auf und haben dann unglaublichen Durst, den sie mit ein paar Grasbüscheln nicht löschen können.»

Der Tag neigt sich langsam dem Ende zu und wir marschieren zurück zur Strasse. Schon bald wird es Zeit die Schafe für die Nacht einzupferchen. Mit ein paar gekonnten Pfiffen und Rufen und Dank den herumtänzelnden Treibhunden ist die wollene Wolke innerhalb von 15 Minuten in ihrer Nachtresidenz versorgt.

Eine interessierte Spaziergängerin hält neben uns an und macht ein Foto von der grossen Herde. «Die erste Frage der Leute lautet immer, wie viele Schafe es denn seien. Es fallen dann Schätzungen von 200-300 Tieren.» Ernst rückt seine schwarze Sonnenbrille zurecht: «Bei so wenig Tieren müsste ich mit der Wanderschaft erst gar nicht beginnen». Ich lache innerlich, da ich Ernst zu Beginn genau diese Frage gestellt habe. Ich schaue den putzigen Lämmlein und zotteligen Mutterschafen noch eine Weile zu, bevor ich mich mit sanftem Glocken-Gebimmel im Ohr wieder auf den Heimweg mache.

Ein Tag mit dem Wanderschäfer unterwegs

Auch du kannst den Wanderschäfer Ernst Vogel mit seiner Schafherde über die Weiden des Luzerner Mittellandes begleiten. Einen Tag lang erhältst Einblicke in die täglichen Arbeiten eines Wanderschäfers, arbeitest mit den Treibhunden und kannst die Herde selber einmal von A nach B verschieben. Mittagessen gibt es ganz à la Wanderschäfer auf dem freien Feld.

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Egal ob im Tanzstudio oder an der Bushaltestelle, Laila ist immer tanzend anzutreffen. Mit einem Lachen im Gesicht und einer Fotokamera in der Hand sucht die gebürtige Luzernerin überall nach Geschichten und Menschen die sie inspirieren. Oder einfach nach weiteren Orten um tanzen zu können. Mehr von Laila auf www.laila-schreibt.com

1 Gedanke zu „Unterwegs mit dem Wanderschäfer

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