Wildkräuterküche – alles nur halb so wild  

Kategorien Biosphäre Entlebuch, Empfehlungen, Nachhaltigkeit, Natur

Giersch, Gundermann und Blacke sind keine Formel 1 Rennfahrende und auch keine nordischen Möbelnamen. Es sind Wildkräuter, welche wir relativ einfach in unseren Speiseplan integrieren können und sollten. Doch woran erkenne ich diese essbaren Wildkräuter? Das wollte ich mit dem Kurs «Wildkräuterküche» in Erfahrung bringen und bin ins Kräuterparadies per se gefahren: Die UNESCO Biosphäre Entlebuch.  

Auch wenn mein Gemüsebeet auf dem Balkon manchmal wegen mangelnder Fürsorge vor sich hinwelkt, bin ich ein grosser Kräuterfan. Pfefferminze – yes please. Koriander – bitte überall. Basilikum – nicht nur als Italienerin ein Muss. Aber dann hört es auf. Ich koche zwar für mein Leben gerne, doch ich kenne mich nur mit den konventionellen Küchenkräutern aus. Höchste Zeit den Kurs «Wildkräuterküche» in der UNESCO Biosphäre Entlebuch zu besuchen. Und als wäre der Ausflug noch nicht wild genug: Meine Freundin Delia gibt heute ihr Blog-Debut. 

Ein wildes Delia in ihrem natürlichen Habitat: In Melanies Kräutergarten.

Eine Schmauseküche für die Sinne 

Wir treffen unsere Kursleiterin Melanie Küpfer etwas ausser Atem am Bahnhof Escholzmatt. Ihr Schwein Hildisvini sei gerade vorher ausgebüxt und die Familie musste sie ausfindigmachen und zurückholen, darum die kleine Verspätung. Im Schlepptau hat Melanie ihren Hund Balu, eine grosse liebenswürdige Flausch-Wolke, welcher man die elf Jahre auf dem Buckel schon etwas anmerkt. 

Unsre heutige Kursleiterin: Melanie und ihr Hund Balu 

Melanie kommt gleich auf den Punkt und greift vor, was wir heute erleben werden: «Die Wildkräuterküche ist keine Survival-Küche, es ist eine Schmauseküche für die Sinne.» Wenn es um die Inhaltsstoffe geht, sei es die gesündeste und nahrhafteste Ernährung überhaupt, erklärt die gelernte Krankenschwester. Gegen Giersch könne der Grünkohl gleich einpacken. Auch wenn er Bio ist. 

Wir starten unseren Kräuterspaziergang durch die schöne UNESCO Biosphäre Entlebuch und halten die Augen nach den essbaren Schätzen am Wegrand offen. Immer wieder bleiben wir stehen und Melanie offenbart uns ihr riesiges Wissen zu allerlei Kräutern, Blüten und Bäumen. Wir erfahren nicht nur, welche Teile der Pflanzen essbar sind, sondern erhalten auch gleich kulinarische Vorschläge. Eine dicke Schicht Grundermann als Flammkuchentopping oder Giersch als Spinat-Alternative in Cannelloni sind nur einige Beispiele, was mensch aus den als Unkraut abgestempelten Pflanzen zaubern kann. Auch wir werden nach unserem Spaziergang aus den gesammelten Wildkräutern vier leckere Rezepte zaubern und ich merke, wie sich langsam ein Hungergefühl bemerkbar macht.  

Die Blüten der Zaunwicke schmecken leicht süsslich und eignen sich gut zum Verfeinern von Desserts. 
Seit 2017 bietet Melanie auch ihre eigene «Pflanzenkreis»-Ausbildung an.  

Holunder als Tor zur Unterwelt 

Rund 98% der Pflanzen in unseren Breitengraden sind essbar und trotzdem gehört ein geschultes Auge und etwas Erfahrung beim Sammeln dazu, um doch nichts Falsches in den Hals zu kriegen. Kocht man zum Beispiel die Beeren des schwarzen Holunders vorher nicht, kann das wortwörtlich in die Hosen gehen, lacht Melanie und führt uns zu «Frau Holle», wie der schwarze Holunder auch genannt wird. Namensgeberin ist die germanische Mutter- und Baumgöttin Holle, welche Menschen und Tiere gegen böse Geister beschützen soll. Kein Wunder wurde früher neben jedem Haus auch ein Holunder gepflanzt. 

Der schwarze Holunder – auch die Gebrüder Grimm haben sich an der Sage um Frau Holle bedient.

Um viele Pflanzen, Kräuter und Bäume ranken sich uralte Sagen und Mythen, so auch um den Holunderbusch. Durch sein weitreichendes, strahlenförmiges Wurzelsystem und den hohen Wuchs kennt sich kein Strauch besser in der Ober- und Unterwelt aus. Das mystische Rauschen ist vor allem in der Abenddämmerung gut hörbar, wenn der Holunder die Hausgeister unter sich besammelt und sie sicher in die Unterwelt begleitet. 

Es gibt keine Pflanze, die für nichts gut ist 

So geht es die nächsten zweieinhalb Stunden weiter. Wir schnuppern, knabbern, riechen und kauen an allem, was uns Melanie entgegenstreckt. Zu meiner Überraschung und derjenigen aller Kursteilnehmerinnen scheint meine Begleitung Delia eine echte Pflanzen-Connaisseuse zu sein. Jede zweite Pflanze nennt sie beim Namen und ich bin froh, dass ich mich hinter meiner Kamera verstecken kann. 

Wir lernen, dass Frühlingskräuter wie Bärlauch oder Holunder die Kaminfeger unseres Körpers sind. Sie entfernen die letzten Ablagerungen nach dem Winter und machen wortwörtlich einen Frühlingsputz mit unserem Immunsystem. Wasserpflanzen helfen gegen Rheuma, alle Wildrosen sind essbar, Brennnesselsamen geben Zündstoff für eine wilde Nacht und Baldrian ist super zum Einschlafen, da er unsere versteckten Gefühle aus unserem Inneren hochholt und ihnen Flügel verleiht. «Draussen ist ein offenes Buch, wir haben einfach verlernt daraus zu lesen» erläutert uns Melanie, während sie uns den Unterschied zwischen Giersch und Kälberkropf hochhält. Es folgen Anekdoten, wie die medizinischen Kräfte von bestimmten Pflanzen schon den einen oder anderen Naturheil-Skeptiker die Knieschmerzen wegschmelzen oder Schnittwunden eiterfrei zuwachsen liess. 

Ein Foto zur Erinnerung – links Giersch, rechts Kälberkropf.

Kurz nach Mittag erreichen wir das Lochweidli, Melanies Reich auf 955 m ü.M., und werden sogleich durch einen riesigen Kräutergarten (logisch) zu einer lauschigen Sitzecke geführt. Kaum haben wir uns um den runden mit Edelsteinen gespickten Tisch gesetzt, bekommen wir von Melanies Partner Steven einen Smoothie serviert. Durstig geniessen wir den saftigen Drink, welcher aus einer Handvoll Wildkräuter, wie Wegerich, Brennnessel, Giersch oder Löwenzahn gemixt wurde.  

Eine Oase der Ruhe: Das Lochweidli.

Schwingende Kochlöffel und tanzende Geschmacksknospen 

Während wir gemütlich im Schatten hocken und an unserem «Rasenmäherschnitt» nippen, erklärt uns Melanie das heutige 3-Gang-Menü, welches wir selbst zusammensuchen und zubereiten müssen. Zur Vorspeise gibt es eine «Wiesenforelle», also panierte Beinwellblätter mit Ziegenfrischkäse. Dazu einen reichen Wildkräuter-Blumen-Salat mit allen (essbaren) Kräutern, welchen wir heute beim Aufstieg ins Lochweidli begegnet sind. Ich bin dankbar, dass sich Delia mit ihrem umfassenden Pflanzen-Wissen ins Salat-Team eingeteilt hat, die Parade-Disziplin in der Wildkräuter-Küche. (Natürlich hat Melanie alle Kräuter geprüft, bevor sie in unseren Mund gewandert sind, aber trotzdem.) 

Learning by doing: Die Wildkräuter für unser Mittagessen müssen wir selbst suchen und zubereiten. 

Zur Hauptspeise gibt es Spaghetti mit einem aromatischen Pesto aus Spitzwegerich, Baumnüssen und geriebener Orangenschale (absoluter Game Changer). Ich sneake mich zum Dessert-Team hinzu. Das bereits produzierte Schintbühl-Zitronensorbet mit Tannenschösslingen (welche wir auf unserem Hinweg bereits gesammelt haben) und Wildrosen (welche relativ leicht zu erkennen sind), entspricht am ehesten meinen Fähigkeiten. 

Schritt für Schritt ins Kräuterparadies 

Nachdem wir unsere Geschmacksknospen in die Welt der Wildkräuter entführt haben und mit vollem Bauch im Schatten liegen, wird es langsam Zeit aufzubrechen und Melanies Kräuterinsel hoch über Escholzmatt zu verlassen. Ganz nach Entlebucher Art gibt es zum Abschluss für alle noch einen «Kafi Schnaps» und wir freuen uns über das Kräuterpulver, welches uns Melanie als Andenken an den Wildkräuter-Kurs mit nach Hause gibt.  

Relativ einfach zu erkennen: Wildrosen.  

Doch wie weiter? Wir haben unglaublich viel Wissen mit auf den Weg bekommen, genauso viele Pflanzen begutachtet und ich bin ehrlichgesagt immer noch etwas lost. «Alles halb so wild», meint Melanie. Mensch soll mit zwei bis drei bekannten Kräutern starten und Schritt für Schritt mehr Pflanzen in sein Repertoire aufnehmen. «Ich bin schon nur froh, wenn euch eine Pflanze vom heutigen Kurs geblieben ist» witzelt Melanie mit ihrem charakteristischen Lachen und winkt uns fröhlich hinterher.  

Um 17.00 Uhr ist Schluss und wir kehren nach Escholzmatt zurück. 

Auch wenn ich jetzt nur eine Handvoll Kräuter erkennen kann, hat mir der Kurs «Wildkräuterküche» extrem gut gefallen. Auf unserem Spaziergang hat uns Melanie mit ihrer fröhlichen und direkten Art nicht nur die essbaren Kräuter gezeigt, sondern auch immer Rezeptvorschläge, Vorteile für die Gesundheit und die jahrhundertalten Mythen rund um die Heilkräuter geteilt.  

Fazit: Ich weiss nicht, was heute wilder war. Die Kräuter, unsere Kursleiterin, das Wissen über die Verwendungszwecke der Pflanzen oder meine Begleitung Delia, die heimliche Pflanzenflüsterin.

Aber was ich weiss: Ich werde diesen Spitzwegerich finden und dieses Pesto nachkochen. Und sonst hilft mir sicher Delia beim Suchen.

Wildkräuterküche
Kursdaten 2024:

  • Freitag, 19. April 2024
  • Freitag, 3. Mai 2024
  • Samstag, 4. Mai 2024
  • Freitag, 24. Mai 2024
  • Samstag, 25. Mai 2024
  • Freitag, 7. Juni 2024
  • Samstag, 8.Juni 2024

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