Anfangs Juli 2024 wurde die «Top of Biosphäre» nach umfassenden Umbauarbeiten wieder eröffnet. Da ich noch nie meine Schuhgrösse 35.5 auf das Brienzer Rothorn gesetzt habe, war ich nicht nur auf die hochgelobte Aussicht gespannt, sondern auch auf die neue Luftseilbahn und die frisch renovierte Bergstation. Was bei meinem Ausflug in die UNESCO Biosphäre Entlebuch alles «Top» war und ob ich auch ein Flop-Erlebnis hatte, lest ihr jetzt.
Freundinnen und Freunde der geschriebenen Worte. Ihr wisst ja – ich bin immer komplett transparent mit euch. Darum erzähle ich euch diese Geschichte genau so, wie sie sich an diesem schwülen Julimorgen abgespielt hat. Doch von Anfang an.
AKT 1 – die Hinfahrt
Mit «Durch die Nacht» in den Ohren von Blond (nicht zu verwechseln mit «Atemlos durch die Nacht») düse ich durch den strahlenden Freitagmorgen. Der Tag war gekommen. Nach drei Jahren und rund 12 Blogbeiträgen für die UNESCO Biosphäre Entlebuch werde ich heute das erste Mal auf den höchsten Luzerner Gipfel fahren: das Brienzer Rothorn.
Das Postauto schiebt sich durch die enge Lammschlucht, während ich mit dem Kopf an der vibrierenden Glasscheibe meine Gedanken in die Ferne wandern lasse. Wir fahren am Matzenbach in Flühli vorbei, wo ich letztes Jahr mit Lamas spazieren war. Machen einen Halt im Dorf Flühli, wo ich bei Silvia Limacher vom Label «Chrütlimacher» Kräutersalz herstellen durfte. Im Rischli bei Sörenberg erinnere ich mich an einen meiner ersten Blogbeiträge zurück, wo ich die gastronomische Rundwanderung im Entlebucher Winter abgelaufen bin. Kurz vor Ankunft in der Talstation Sörenberg passieren wir noch die Bushaltestelle, von wo ich für meinen letzten Blogbeitrag auf die Alp Schlacht aufgebrochen bin. Eines hatten diese Beiträge alle gemeinsam – das Brienzer Rothorn thronte immer majestätisch im Hintergrund. Es scheint, als laufen all diese Beiträge entlang des Weges nun zu einem finalen Erlebnis zusammen.
An der Talstation der Sörenberg Rothornbahn angekommen, trudelt auch sogleich die neue, knallrote Panoramagondel ein. Die neue Luftseilbahn Brienzer Rothorn wurde Ende 2023 nach 1.5 Jahren Umbauzeit eingeweiht und ersetzte damit die alte Bahn, welche rund 50 Jahre in Betrieb war. Vorbei an grünen Baumkronen, die mich stark an Brokkoli erinnern, schweben wir entlang der scharfen Felskanten auf 2350 m ü. M. Plötzlich geht ein entzückter Aufschrei durch die Gondel. Zwischen saftigen Gräsern und unmenschlich steilen Abhängen sitzt eine ganze Steinbock-Familie im Schatten und lässt die Hufe in die Tiefe baumeln. Wir winken den flauschigen Berggängern ekstatisch zu, doch unser Winken wird nicht erwidert. Frech.
AKT 2 – die Aussicht
Nach rasanten 7 Minuten erreichen wir bereits die Bergstation. Etwas ungläubig für manche Fahrgäste, die jetzt erst die Mittelstation erwartet hatten. Fairerweise sind die Höhenmeter auf den höchsten Gipfel des Kantons Luzern wirklich unglaublich zügig überwunden. Äusserst praktisch! Das finden auch meine heutigen Begleiterinnen Monika und Kathrin. Die gebürtigen Entlebucherinnen schätzen das Brienzer Rothorn durch ihre Vielfalt an Aktivitäten. Egal, ob auf dem Steinbock-Trek, beim Fischen im Eisee, auf dem Foto-Trail, als Ausgangspunkt für Wanderungen, zum Abendessen oder bei den Sonnenaufgangsfahrten, das Brienzer Rothorn ist nicht «nur» ein Gipfel mit 360° Rundumblick, sondern bietet nebst der spektakulären Aussicht eine reiche Palette an Erlebnissen. Mit der Modernisierung der Luftseilbahn und Bergstation wollte man dieses Gipfelerlebnis noch attraktiver gestalten.
Wenn wir schon beim Stichwort «Aussicht» sind. Natürlich stürzen sich alle unmittelbar nach der Ankunft wie hungrige Hyänen nach draussen ins Freie. Angezogen vom türkisblauen Brienzersee fliegen einem erstmal Handy- und Digitalkamera um die Ohren. Total verständlich. Ich habe auch selten solch ein intensives Türkis gesehen.
Doch damit nicht genug. Für noch mehr Panorama nehmen wir den kurzen (und bizzli wadenkitzelnden) 10-minütigen Fussmarsch zum drei Kantone Eck unter die Trekkingschuhe. Hier laufen die Kantone Obwalden, Bern und Luzern zusammen. Der Gipfelweg wird gesäumt von Edelweissen, Felsensteinkraut und lila Rossminze (falls ich das korrekt ergoogelt habe).
Die erste Kurve gibt den Blick auf den 400m tiefer gelegenen Eisee frei. Wir geniessen das Panorama, atmen kurz durch und ziehen tapfer weiter bis ganz nach oben. Oben angekommen bemerken wir, dass wohl nicht nur Menschen scharf auf die Aussicht sind. Auch Fliegen, Käfer, Wespen und skurrile alpine Kreuzungen aller vorher genannten Arten sausen frischfröhlich durch die Lüfte (und in unser Gesicht).
Jetzt verstehe ich auch, warum das neue Bergerlebnis rund um den höchsten Luzerner «Top of Biosphäre» heisst. Die Aussicht ist nicht nur Top, wir stehen auch on top der UNESCO Biosphäre Entlebuch. Ich sehe zu meinen Füssen das Dorf Sörenberg, die markanten Felsformationen der Schrattenfluh, die Hagleren, die Rossweid mit dem Kinderparadies Mooraculum, weiter hinten sogar Flühli, die Schwändiliflue und den Fürstein. Ich sehe über all meine vergangenen Blogbeiträge. What a view!
Auf der gegenüberliegenden Seite gibt es natürlich auch reichlich zu bewundern. Die beliebte «Welcher Gipfel ist welcher»-Tafel veranschaulicht mir die drei Berner Musketiere Eiger, Mönch und Jungfrau sowie alle weiteren Rockstars der Berner Alpen. Insgesamt 690 Gipfel kann mensch sich hier bei klarer Sicht in den Augapfel brennen.
AKT 3 – das Rahmenprogramm
Als sich bei uns langsam ein Magenknurren bemerkbar macht, treten wir den Rückweg Richtung Bergstation und Gipfel-Restaurant an. Auch das Restaurant hat während der Umbauphase ein umfassendes Make-over (oder wie Heidi Klum sagen würde, ein «Umstyling») erhalten und ist dank den grossen Panoramafenstern und den grosszügig eingebauten Holzelementen viel gemütlicher und einladender geworden.
Wir entscheiden uns für Entlebucher Ravioli mit Alpkäse, ein Fleisch- und Käseplättli und den heutigen Tageshit Hackbraten mit Kartoffelstock. Geng wie geng sind die meisten Produkte auf dem Teller aus der Region Entlebuch. Gemampft werden die leckeren Speisen dann friedlich an der Sonne auf der Panorama-Aussichtsterrasse. Meine lila Daunejacke, die ich bereits den ganzen Tag mühselig mitschleppe, hat sich spätestens jetzt als komplett unnötig erwiesen. Einmal mehr habe ich mich vom Wetterbericht und den besagten «10°C» am Morgen komplett blenden lassen.
Zum Verdauen nehmen wir die neu gestaltete Bergstation noch etwas genauer unter die Lupe. Wer nämlich nach der Ankunft nicht gleich nach draussen gestolpert ist, entdeckt im Eingangsbereich überdimensionale Dominosteine und Tablets mit Hintergrundinfos zur Biosphäre Entlebuch. Auch die beiden Entlebucherinnen staunen über die herausgepickten Informationen ihrer Heimatregion. Oder wusstet ihr etwa, dass das Bundesinventar die Schrattenfluh und die Hagleren zu den schönsten Landschaften der Schweiz zählt, rund 400 schützenswerte Tier- und Pflanzenarten in der Region leben und die Biosphäre die schweizweit grösste Dichte an Moorlandschaften besitzt? Ich. Denke. Nicht.
Auf dem Rothorn bekommt das Thema Nachhaltigkeit endlich eine Heimat. Die Dominosteine veranschaulichen einerseits, wie wir täglich mit unserem Verhalten andere Steine anstossen und so Veränderungen hervorrufen können, andererseits aber auch die Komplexität und Fragilität des ganzen Systems. Der Mensch also quasi als Schlüssel für eine nachhaltige Entwicklung.
Der Frage «Was kann ich persönlich dazu beitragen, die Welt etwas lebenswerter und nachhaltiger zu machen?» wird in Form eines kurzen Animationsfilmes im neuen Biosphären-Forum nachgegangen. Der Film flimmert gleich neben den Dominosteinen im ehemaligen Bunker über eine grosse, halbrunde Leinwand und enthüllt am Ende eine unerwartete Überraschung für die Zuschauenden. So viel sei jetzt schon gespoilert.
Nach einem letzten Posieren vor der Wahnsinns-Aussicht hat es sich dann für mich ausgeknipst. Ich verabschiede mich von Monika und Kathrin, hopse wieder zurück in die Luftseilbahn, entdecke auf der Talfahrt wieder eine Gras-schnabulierende Steinbock-Familie, mache noch einen Abstecher in den umgestalteten Biosphären-Shop an der Talstation und lasse mich erschöpft ins Postauto Richtung Schüpfheim fallen.
AKT 4: die Rückkehr
Doch nicht so schnell. Die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Es folgt der angekündigte Plot-Twist. Als ich also so zu Hause sitze und ohne Hintergedanken die Bilder auf meiner Kamera durchschaue, fällt es mir wie Schuppen von den Augen.
Wir haben immer von der «Top of Biosphäre» gesprochen. Wie das Brienzer Rothorn die ganze Region Entlebuch bis weit in die Ferne überblickt – erhaben, würdevoll und doch besonnen. Dann die schreckliche Realisation: Ich war derart im Schuss und wohl auch angetan von diesem verführerischen Brienzersee, dass ich gar nie die Entlebucher Seite fotografiert hatte. Irgendwie immer ein Close Up oder sonstige fotografische Hirngespinste, aber kein einziges Panoramabild von der gesamten Biosphäre. Es blieb mir also nur eines. Ich musste nochmals hoch. Denn, wer mich kennt, weiss: ich mache keine halben Sachen.
Also hiess es am nächsten Tag erneut: Um 06:30 Uhr wie ein halb angeknabberter Waschbär aufstehen, in den Zug, in den Bus, Schlangenlinien, Brokkoliwälder, Felswände, chillende Gämschi, an weissen, gelben und lila Blümli vorbeiwatscheln, Schnappatmung in der ersten Kurve stillen, immer weiter bis zum Aussichtspunkt, hoch, hoch hoch, beim Gipfel Käfer von der Stirne wischen und dann endlich: Knips. Das Panorama ist eingefangen. Die Top of Biosphäre ist im Kasten.
Weil ärgern ja bekanntlich nichts bringt, mache ich das Beste daraus und geniesse meinen zweiten Tag auf dem Brienzer Rothorn in vollen Zügen. Drei Jahre nie auf dem Gipfel und jetzt gleich zweimal hintereinander – auch nicht schlecht. Ich gönne mir fürs Gemüt ein Schoggigipfeli an der Sonne, shoote noch etwas Content für meine Insta-Story, besuche die Steinbock-Schaukel bei der neuen Aussichtsplattform und zünde mein Zoom-Objektiv noch etwas ins blau geschichtete Gipfelmeer. Immerhin habe ich jetzt eine Storyline für meinen Blog.
Nachdem ich drei Mal überprüft habe, dass ich wirklich ALLES fotografiert habe, verlasse ich die «Top of Biosphäre» bereits zum zweiten Mal in 24h. Bevor die Türe des Postautos hinter mir zufällt, blicke ich ein letztes Mal über die Schulter zum Brienzer Rothorn.
Ich komme bestimmt zurück, mein Freund.
Aber wohl nicht in den nächsten 24h.
Mehr Informationen & Tipps
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