Bei meinem Besuch im Entlebucherhaus in Schüpfheim bin ich den Anfängen der UNESCO Biosphäre Entlebuch nachgegangen und habe mich nachts einer schaurig-schönen Sagenführung im Heimatmuseum angeschlossen. Was war wohl gruseliger: Die Führung oder der Entlebucher Dialekt von Guide Richard Portmann? 

Zugegeben. Ein Besuch in einem Heimatmuseum hört sich nicht nach der knusprigsten Ausflugsidee an. Schon nur der alleinige Gedanke daran lässt Bilder von verstaubten Vitrinen mit halb-angeknabberten Artefakten und vergilbte Bücher mit einer unleserlichen Schnürlischrift vor meinem geistigen Auge vorbeiziehen. Dass Geschichte durchaus spannend vermittelt werden kann, hat mir mein Besuch im Entlebucherhaus in Schüpfheim gezeigt. Aus diesem Grund werde ich auch mit der einen oder anderen Jahreszahl um mich werfen müssen. Ich verspreche dir, es tut nicht weh. 

Mit einer privaten Führung durchs Heimatmuseum 

Mein Blogausflug in die UNESCO Biosphäre Entlebuch startet wie jeder andere: Indem ich mein Ausflugsziel trotz Google Maps nicht auf Anhieb finde. Nach einer kleinen Extrarunde stehe ich also im Foyer des riesigen Kulturhauses. Während ich mich aus meinem dicken Winterschal winde, schallt mir Gelächter von pubertierenden Teenagern und dumpfen Hip-Hop Beats entgegen. «Interessant» denke ich mir und stolpere ahnungslos über die Füsse von Rita Kuster. Eigentlich war der Plan, dass ich das Museum auf eigene Faust erkunde, bevor ich um 17:30 Uhr eine Führung zu den Entlebucher Sagen mitlaufen werden. Doch Rita möchte mich persönlich durch das zweistöckige Museum führen. So eine Chance lasse ich mir natürlich nicht entgehen. Schliesslich hat Rita das Haus nicht nur 15 Jahre lang geleitet, sie war auch Vereinspräsidentin des Gründungsvorstandes und ist mitverantwortlich, dass das Haus heute so vielfältig genutzt wird.  

Ein «richtiges» Entlebucherhaus: Ein Haus erbaut im Entlebucher Stil.

Jung und Alt sind aber nicht nur die Menschen, die hier für Konzerte, Lesungen, Kleinkunst-Ausstellungen, Ziviltrauungen und für ihre Musicalproben ein und ausgehen (jetzt macht das mit der Hip-Hop-Musik auch Sinn). Auch bei den Ausstellungsstücken im Museum versucht das Haus auf moderne Vermittlungsformen und Themen einzugehen. Mit dem Angebot «Schule früher» bekommen Schulklassen beispielsweise den Schulunterricht anno 1920 hautnah mit über. Das bedeutet in den harten Schulbänken sitzend, gekleidet mit Schürzen oder Ärmelschoner und einer Schiefertafel in den Pfoten. Hoffen wir, dass immerhin der Lineal als Bestrafungsmethode nicht live vorgezeigt wird. 

Hier müssen die Kinder in Reih und Glied sitzen.

Vom Kinderasyl zum Kulturhaus der Region 

Das Entlebucherhaus ist sich das tägliche Gewusel in seinen vier Wänden gewohnt. 1914/15 als Kinderasyl erbaut, wurde das Haus anschliessend als Provisorium für die Landwirtschaftliche Schule und die Bäuerinnenschule genutzt, bevor der Kanton Luzern das Haus 1986 allen Entlebucher Gemeinden schenkte (daher der Name). Heute hat sich das Entlebucherhaus zum Kulturhaus der Region Entlebuch etabliert und beherbergt nebst dem heimatkundlichen Museum diverse Kulturräume. 

Wir starten unseren Rundgang bei einem historischen Schlafzimmer, sehen daneben eine Küche, ein Vorratsschrank, eine einfache Arbeitsstube – alles mit Originalgegenständen aus dem Entlebuch eingerichtet. Was soll ich sagen – ich komme mir vor wie in einem Ikea Einrichtungshaus im Jahre 1870. Fehlen nur noch die Hot Dogs. 

Wir verlassen die Wohnabteilung, passieren eine herrschaftliche Bauernstube mit einem schmucken Kachelofen, die Fotoausstellung von Josef Aregger mit Bildern aus den 30er Jahren und treten in die Praxis des Landarztes. Eine etwas zu echt aussehende Puppe verleiht mir kurz einen Anflug an Schnappatmung. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie gruselig das einbandagierte Kerlchen später bei der Sagenführung im Dunkeln aussehen wird.  

Umgeben von Entlebucher Originalen 

In den nächsten Räumen warten Artefakte aus der Land- und Fortwirtschaft auf uns, eine Nische zeigt die Milchzuckerproduktion, daneben ist eine alte Alpkäserei mitsamt Alpstübli eingerichtet und am Ende des Ganges schweift mein Blick über eine alte Waschküche. Früher brauchte man irgendwie das gesamte Vokabular des Dudens, um den Prozess des Waschens zu beschreiben: Einweichen, Bedecken, Überbrühen, Schlagen, Bürsten, Reiben, Spülen, Bleuen, Bleichen, Stärken, Wringen, Aufhängen, Ausbessern, Strecken, Mangen und dann Bügeln – ein Glück kann ich heute alles in eine Waschmaschine pfeffern.  

Ich kann meine Faszination fast nicht vor Rita verstecken. Das sind alles Originalstücke aus dem Entlebuch? Rita nickt bejahend. «Phuu, das muss ja irrsinnig aufwendig gewesen sein, all diese Gegenstände zu sammeln und dann noch hierhin zu schleppen», denke ich mir, während mich Rita bereits weiter in die Dauerausstellung «Musik im Entlebuch» lotst. Über uns hängt zwar kein Himmel voller Geigen, aber voller Blasinstrumente. Angeordnet, wie in einer richtigen Marschmusik. Das ist die Detailverliebtheit, die ich am Entlebucherhaus so mag.  

Die Dauerausstellung behandelt verschiedene musikalische Themen,…
wie Tanzmusik, Chor, Blasmusik, Jodel, etc. 

Von den Anfängen des Tourismus zur UNESCO Biosphäre Entlebuch 

Irgendwie versprüht das hier alles ziemlich Ballenberg-Vibes. Nach einem Blick in einen Coiffeursalon füllen sich die Räume mit Entlebucher Zeitzeugen der alten Handwerkskunst: Von der Schreiner-Werkstatt bis zur Bäckerei, von der Schuhmacher-Werkstatt bis zur Schmiede. Jap, definitiv Ballenberg-Vibes.  

Besonders am Herzen liegt Rita die wertvolle Sammlung der Flühli-Glaskunst aus dem Waldemmental.

Wir kommen der Gegenwart immer näher. In einem weiss gekleideten Raum finden sich Holzskier mit sehr ominösen und instabil wirkenden Riemli-Bindungen. Ein Raum weiter links wechselt die Szenerie auf Sommer und auf das Grundstück von Schimberg-Bad. Die frische Bergluft lockte 1850 die ersten Gäste für Bade- und Trinkkuren ins Entlebuch. Der Tourismus war geboren und damit der Grundstein für die UNESCO Biosphäre Entlebuch als attraktiver Ausflugs- und Ferienort.  

Die Evolution des Wintersports im Entlebuch. Nicht sicher, wie SUVA-konform das dazumal war… 

Nachts im Museum – mit Entlebucher Dialekt 

Kaum zurück in der Gegenwart geht es schon weiter mit der Sagenführung «Abends bei Kerzenlicht im Museum». Die Gruppe ist bereits mit Laternen bewaffnet, als ich als Letzte dazustosse. Mit einem spitzbübischen Lächeln erklärt Sagenerzähler Richard Portmann was uns auf der Führung durch das stockdunkle Museum erwartet. An ausgewählten Schauplätzen werden wir anhalten und in die schaurig-schöne Sagenwelt des Entlebuchs eintauchen. Rund sechs Sagen hat der pensionierte Schulleiter heute für uns vorbereitet.

Richard weiss, wie man eine mystische Stimmung zaubert. 

Richard lässt uns nicht lange zappeln und verschwindet geschmeidig in der Dunkelheit. Ich brauche einen Moment bis sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben und watschle in Slow Motion der Gruppe nach. Konzentriert versuche ich keines der alten Ausstellungsstücke umzuwerfen oder mit meiner Laterne in Flammen aufgehen zu lassen. Überraschen würde es mich ja nicht. 

Nur das Kerzenlicht einzelner Laternen erhellt die Szenerie. Ansonsten ist es stockdunkel.  

Um euch den Gruselfaktor nicht wegzunehmen, werde ich euch die einzelnen Sagen nun nicht spoilern. Nicht dass ich es könnte. Richard legt bei seinen Sagenführungen nämlich viel Wert darauf, die Geschichten im authentischen Entlebucher Dialekt zu erzählen. Das hat zur Folge, dass ich Richard bei jedem vierten Wort einen fragenden Seitenblick zuwerfe und mich mit einem Blick in die Runde vergewissern muss, dass ich nicht die Einzige bin, welche die alten Ausdrücke nicht kennt. Oder weisst du etwa was ein «Häugestöckli» ist?  

Entlebucher Sagenwelt – sagenhaft schön 

Rund eine Stunde dauert die mystischen Sagenführung durch die Räumlichkeiten des Heimatmuseums. Im Kerzenschein sehen wir Richard mit einer alten Axt einen unsichtbaren Baum fällen, hören Geschichten von abgemagerten Knechten, wintersportaffinen «Sträggelen» (ich nehme an das heisst Hexe?) und Erdmannli, die dir ungeniessbare Milch andrehen wollen. Natürlich gibt uns Richard auch die wohl bekannteste Sage aus der Region zum Besten: Die Schrattensage. Da ich die Einzige in der Gruppe bin, welche noch nie einen Fuss auf die Schrattenflue gesetzt hat, darf (oder muss) ich meine Hand auf einen Schrattenstein legen und die Furchen, welche die Krallen des Teufels hier hinterlassen haben sollen, ertasten. Und was soll ich dir sagen: Die Hand passt. Your girl is straight out of hell. 

Aus dem Entlebuch sind heute rund 50 Sagen überliefert. Das Sagenerzählen gehört wie in den meisten Regionen zum regionalen Kulturgut. Unsere Vorfahren mussten sich die merkwürdigen Naturphänomene, wie die Schrattenflue, ja irgendwie erklären. Dass Kohlensäure über Jahrhunderte den Kalkstein aufgelöst hat, hört sich einfach nicht so prickelnd an (auch wenn es prickelnd war, haha checksch?). 

Richard erzählt im Wintersportraum die Sage mit der «Sträggele» auf dem Schlitten.

Wir beenden unsere Führung vor einer «verpflöckten» Wand – eine Tätigkeit, welcher man bis ins 19. Jahrhundert nachgegangen ist. Und die ging so: Spukte es im Haus, wurde ein Geistlicher gerufen. Dieser bohrte ein Loch in die Wand, lockte die Geister hinein und verschloss das Loch für die Ewigkeit mit einem Holzpflock. Daran wollen wir heute auch nichts ändern und lassen Geister Geister sein und den Pflock seinen Zweck erfüllen. Und so endet mein Ausflug im Entlebucherhaus. Schön war’s. Und auch bizzli unheimlich. Ich geh jetzt mal googeln was ein Häugestöckli ist.  

Eine «verpflöckte» Wand aus einem Entlebucher Haushalt 
Richard in seinem Element.

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Egal ob im Tanzstudio oder an der Bushaltestelle, Laila ist immer tanzend anzutreffen. Mit einem Lachen im Gesicht und einer Fotokamera in der Hand sucht die gebürtige Luzernerin überall nach Geschichten und Menschen die sie inspirieren. Oder einfach nach weiteren Orten um tanzen zu können. Mehr von Laila auf www.laila-schreibt.com

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