
…wird von Kühen angesabbert. Zumindest in meinem Fall. Wo sich diese nassen Szenen abgespielt haben? In der UNESCO Biosphäre Entlebuch. Dort durfte ich an einem schönen Frühlingsmorgen Elisabeth Fink und Reto Vogel bei ihrer täglichen Morgenroutine auf der Alp Schlacht im Sörenberg begleiten.

Um Punkt 05:45 Uhr reisst mich mein Wecker erbarmungslos aus dem federweichen Kissen des Alphotels Schwand. Mit einem halboffenen Auge stürchle ich zum Fenster und sehe, wie das Alpenglühen soeben auf dem Brienzer Rothorn eingesetzt hat. Crunchtime. Nachdem ich alles rigoros in den Rucksack geworfen habe, befinde ich mich zehn Minuten später bereits auf dem Weg Richtung Speichersee Schwand. Dort soll sich die Brienzer Rothornkette besonders schön spiegeln. Ein dumpfes Motorsummen begleitet mich auf dem Wanderweg und beim Seeli angekommen, bestätigen sich meine Befürchtungen: Das Seeli wird gerade gereinigt, abgepumpt oder trägt im Moment einfach nur die Hälfte Wasser. Jänu – idyllisch ist es trotzdem.

Morgenstund hat Gold im Mund
Ich komme nur schleppend voran. All zwei Meter muss ich anhalten, da ich A) mit meinen kleinen Füsschen nur schwer über die zahlreichen Kuhgitter komme und B), die Wahnsinns-Morgenstimmung mit meiner Kamera von jeder Perspektive aus festhalten möchte. Morgenstund hat tatsächlich Gold im Mund. Und auf den Bergspitzen. Und auf der Wiese. Also eigentlich überall.


Nachdem ich die ersten 20 Minuten selbstbewusst ohne GPS gewandert bin, nur um beinahe doch noch falsch abzubiegen, muss ich für die letzten Meter zur Alp Schlacht schliesslich kapitulieren und Google Maps um Rat bitten. Einige Dinge ändern sich wohl nie.

Bin ich schon wach oder noch am Träumen?
Ich erreiche die Alp- und Erlebniskäserei um 07:00 Uhr. Während die Alp ruhig in der aufgehenden Morgensonne daliegt, erhebt sich das Brienzer Rothorn majestätisch im Hintergrund. Einzelne Schneefelder zeigen noch die letzten Spuren des nassen Frühlings, den Bergflanken liegt saftiges Weideland zu Füssen, bunte Alpblumen strecken ihre mit Morgentau gesprenkelten Köpfchen der Sonne entgegen und ein sanftes Glockenbimmeln weht durch die Luft. Was für eine Szenerie! Ich kann mich fast nicht sattsehen.




Wer mich hingegen bereits jetzt satthat, ist Hofhund Kadi. Der gibt mir von Weitem vorlaut zu verstehen, dass er hier zum Rechten schaut. Gut, wenigstens weiss jetzt der ganze Alpbetrieb, dass ich eingetroffen bin. Da kommt mir schon Elisabeth mit weisser Schürze, Gummistiefeln und langen Handschuhen aus der Käserei entgegengerannt. Ich käme gerade rechtzeitig, meint die junge Älplerin strahlend und schickt mich hinüber zum Stall, wo Partner Reto und sein Team gerade die Kühe auf die Weide lassen. Diese freuen sich sichtlich über das morgendliche Festmahl an der Sonne.




Neugierige Glubschaugen und nasse Näschen
Weit komme ich nicht. Kaum beim Gatter angekommen, stürzen sich schon die ersten neugierigen Ziegen auf mich. Schamlos knabbern sie an meiner Regenjacke, fordern Streicheleien ein und zeigen besonders grosses Interesse an meiner Kamera. Selten hatte ich Models, welche sich derart energisch vor die Linse zwängten.

Die kostenlosen Streicheleinheiten scheinen sich schnell rumzusprechen. Plötzlich gehen auch die Kühe von der neugierigen Bemusterung aus der Ferne, in den etwas aufdringlicheren Körperkontakt über und drücken mir ihren gigantischen Kopf (inkl. Sabber) in die Taille. Ich sag euch – so zu fotografieren ist gar nicht einfach. Lasst mich euch ein Bild geben: Mit der linken Hand versuche ich die Kühe auf Abstand zu halten, ohne dabei in Kuh-Aa zu treten oder den Hang herunterzupurzeln. In der rechten Hand halte ich die Kamera und probiere einen schlauen Bildausschnitt festzuhalten, welcher nicht gerade von einer kamerageilen Ziege gephotobombed wird. Challenge accepted.



Nachdem ich meine Bilder im Kasten habe, geselle ich mich zu Elisabeth und Reto in die Käserei. Reto schneidet gerade mit einer Harfe die verdickte, weissgelbliche Masse im Kessi, Elisabeth unterstützt ihn dabei. Die beiden sind bereits seit 04:00 Uhr auf den Beinen – ok, 04:15 Uhr. Wie normale Menschen, dösen auch sie noch 15 Minuten nach dem ersten Weckerklingeln. Da bin ich aber beruhigt.


Das Alpleben – eine Leidenschaft
Die Alp Schlacht liegt im schönen Sörenberg auf 1’334 m.ü.M. Rund 8.5 Tonnen Käse produziert das Team pro Sommer. Nebst Kühen, Rindern und Ziegen geniessen auch noch Schweine und Hühner die frische Bergluft und helfen so den ökologischen Kreislauf zu schliessen. «Manchmal sind es schon lange Arbeitstage» meint Elisabeth, während sie das Käsegeschirr des Vorabends wäscht. Neben der aufwendigen Käseherstellung und -pflege müssen die Tiere gefüttert und gemolken, Heu produziert, Wartungs- und Reinigungsarbeiten durchgeführt, den Talbetrieb in Schüpfheim aufrechterhalten und die Familie verpflegt werden. Möglich wäre das alles nicht ohne die drei helfenden Hände, welche Sommer für Sommer im Betrieb anpacken.



Das Alpleben sei eine Leidenschaft, fügt Reto an. Es «zieht» einen regelrecht hinauf – in die Berge, die Natur. Das gibt einem viel zurück. Während andere diesen magischen Sonnenaufgang nur am Wochenende bestaunen können, könne er das täglich und sogar bei der Arbeit. Auch der älteste Sohn Maximilian, der den Eltern interessiert vom Küchentresen aus beim Käsen zuschaut, habe anscheinend schon zu Frühlingsbeginn verlautet, dass er jetzt schon wieder auf die Alp möchte.



Wo die Liebe hinfällt
Reto ist gebürtiger Entlebucher, Elisabeth hat ihre Wurzeln in Österreich. Die beiden lernten sich an einem schönen Sommertag im Entlebuch kennen, später erhielten sie die Chance, die Alp Schlacht von Chläus und Martha Epp-Zgraggen zu übernehmen. «Wir durften nicht nur ihr gesamtes Inventar behalten, sie haben uns auch ihr ganzes Wissen zur Käseherstellung weitergegeben. Dafür sind wir sehr dankbar», schwärmt die ausgebildete Sekundarlehrerin, welche zur Abwechslung immer noch ein Tag pro Woche in der Schule unterrichtet.

Das Käsen habe auch was Nostalgisches, fügt Reto an. Da der produzierte Alpkäse erst Ende Sommer das erste Mal angeschnitten und probiert werden kann, denkt er mit jedem Bissen an den jeweiligen Produktionstag zurück. Was ist an diesem Tag passiert, wie war das Wetter, was war speziell? «Käse als eine Form von Tagebuchschreiben?» fasse ich zusammen. Reto lacht: «Ja, das hat was!»



Uraltes Handwerk trifft technischen Fortschritt
Auf dem Weg in den Käsekeller beschreibt mir Elisabeth, warum ihr der Kontakt zu den Menschen gefällt: «Es ist eine schöne Genugtuung, wenn wir sehen, dass den Leuten der Käse schmeckt und sie wiederkommen für mehr» fügt sie an und zeigt mir die Käselaibe vom Vortag, welche auf ihr Salzbad warten. Spätestens im geräumigen Feuchtkeller sehe ich, wie die Alp Schlacht Tradition mit Moderne vereinen mag. Dank der Investition in «Windtrüeb», eine automatische Käsepflegemaschine, muss das Team den Käse im Lager nicht mehr selbst schmieren.

Humor haben sie ja, diese Älplerinnen und Älpler. Windtrüeb war nämlich auch der Name des starken Senns aka Käsers aka Helden, der sich 1380 gegen den Einfall der Obwaldner im Gebiet Sörenberg wehrte. Darum wurde der Ort der Auseinandersetzung «Schlacht» genannt.

Zum Abschluss zeigt mir Elisabeth noch die rustikale Showkäserei, die im ehemaligen Käselager untergebracht ist. Hier können Gruppen unter Anleitung von Reto selbst Alpkäse im Kupferkessi herstellen und erfahren so hautnah mit, wie viel Arbeit eigentlich in dieses Naturprodukt fliesst. Wer den Alpkäse nicht selbst herstellen will, kann ihn natürlich auch auf dem Hof oder in zahlreichen Läden der Biosphäre erwerben.




Ein Snack für den Heimweg
Bevor ich mich wieder auf den Weg nach Sörenberg mache, möchte mir Elisabeth noch Alpkäse auf den Weg geben. Da sage ich natürlich nicht Nein. Ein Bärlauch-Stück aus diesjähriger Produktion, sowie ein rezenter und milder Käse aus dem letzten Jahr gesellen sich zum Chaos in meinem Rucksack. Damit das zarte Gold sich auf meinem Heimweg nicht in flüssiges Gold verwandelt, wird es kurzerhand noch in die Vakuumier-Maschine geworfen (einmal mehr – die Alp ist richtig modern ausgerüstet). Als das Licht beim Vakuumieren zu flackern beginnt, schmunzelt Reto: «Ach ja, wir produzieren mit unserem Wasserkraftwerk unseren eigenen Strom». Ich muss lachen – diese Alp steckt wirklich voller Überraschungen.



Ich bedanke mich für Käse und Gastfreundschaft, beobachte die Kühe noch eine Weile beim Gras und Alpkräuter schnabulieren und mache mich dann mit dem Brienzer Rothorn im Rücken und Kuhsabber auf der Jacke zurück ins Dorf. Das Postauto verpasse ich zwar wegen einer Minute, zum Glück habe ich im Rucksack aber noch ein Stück Alpkäse dabei, um mir die Zeit zu vertreiben. Ich lasse mir den ersten Bissen genüsslich auf der Zunge zergehen und denke mir «Hmmmm, das schmeckt ganz nach dem 12. Juli 2023.»

Weitere Informationen & Links
- Alp Schlacht, inkl. Erlebniskäsen auf der Alp
- Entlebucher Alpabfahrt
- Ausflugsziele in der Nähe: Rossweid
- Übernachtungsmöglichkeit: Alphotel Schwand oder Berghotel Rossweid
- Weitere Produkte aus der UNESCO Biosphäre Entlebuch
Ein Besuch auf der Alp Schlacht lässt sich auch wunderbar mit einem Ausflug auf die Rossweid kombinieren. Toll für Kinder: das Mooraculum oder für den Adrenalin-Kick die Fat Trottis.