«Platzhirsch» – für Vierbeiner bei der Hirschbrunft harte Arbeit, für Zweibeiner oft eine Erbschaft

Kategorien Biosphäre Entlebuch, Familie, Menschen, Natur, Regionen, Tiere

In der zivilisierten Welt ist ein «Platzhirsch» mehrheitlich negativ belastet, in der Tierwelt ist er (und vor allem das damit verbundene Drumherum) ein absolut faszinierendes, herbstliches Naturspektakel. Mitte September geht es los, das Röhren der Hirsch-Stiere, und füllt die Entlebucher Wälder mit archaischen Klängen. Möchtest du diese auch mal hören? Wildhüter Dani und Biologe und Jäger Heini nehmen dich mit auf Pirsch in der UNESCO Biosphäre Entlebuch – ohne Flinte, versteht sich – und bieten dir ein Hörspektakel erster Klasse. Bis bald im Wald!

Röhrende Hirsche sorgten beim-Eindunkeln für unheimliche Stimmung. (Foto Marco Schaffner)

Genau vor einem Jahr kam ich beim Schreiben eines Blogbeitrags zu den Entlebucher Mooren ungewollt in den Genuss eines Hirschkonzerts: Wir sind etwas zu spät aufgebrochen und hörten sie beim Einnachten von allen Seiten – ein Wald voller Hirsche, so schien es jedenfalls. Eine Woche darauf sass ich dann, diesmal geplanterweise, erneut in den ersten Rängen des Konzerts, nämlich auf der Exkursion «Hirschbrunft» unter Moderation der beiden Experten Dani und Heini.

Dani Schmid empfängt die Teilnehmenden zur Hirschbrunft-Exkursion. (Foto: Sandro Bucher)

Der Weg zum Platzhirsch: Testosterongesteuertes Fitnessprogramm

Dass Hirsche ab Mitte September bis in den Oktober hinein lautstark um die Gunst der Damen buhlen, war mir nicht neu. Doch wer tut es und warum genau? Während wir vom Salwideli her zum vornächtlichen Spaziergang aufbrechen, hören wir bereits ein erstes, bestimmtes und die Nacht durchbrechendes Brüllen. Obwohl das Tier gemäss Heini noch kilometerweit entfernt sei, hört es sich an, als stünde ich unmittelbar neben dem Hirsch, habe das Gefühl, es würde auf meiner Brust vibrieren.

Dani nutzt die Gunst der Stunde und klärt unser Trüppli auf: Hirschmännchen demonstrieren Nebenbuhlern durchs Röhren ihre persönliche Stärke und Kampfkraft. Als anspruchsvolle Wesen geben sie sich nicht mit nur einem Weibchen zufrieden, sondern scharen für die Paarung gleich mehrere Hirschkühe um sich. Wenn dies gelingt, ist er erkoren, der Platzhirsch. Wehe aber, es macht ihm ein Nebenbuhler seine Position streitig… dann fliegen die Fetzen und der (neue) Platzhirsch darf das Damenrudel als «Sein» nennen. Dieses konstante Verteidigen des Rudels ist für den Hirsch-Stier harte Arbeit, ein kräfteraubendes Fitness- und Abspeckprogramm, kann er doch dadurch während der Brunftzeit rund einen Viertel seines Körpergewichts verlieren. Das wenige Fett, das dem durchtrainierten Kerl bleibt, muss dann noch für den kommenden Winter reichen. 

Die Hirschkühe im Visier des Hirsches.
Das Naturspektakel wird von den Teilnehmenden genauestens verfolgt. (Fotos: Sandro Bucher)

Am Ort des Geschehens: Jagdbanngebiet Tannhorn

Dass sich hier am Fusse des Tannhorns eine solche Hirschsynfonie erleben lässt kommt nicht von ungefähr: Das Gebiet ist ein Eidgenössischen Jagdbanngebiet und lässt keine Bejagung zu. Dies hat das clevere Kerlchen schnell bemerkt und verbringt hier somit ungestört eine ruhige Brunft. Der anwachsende Hirschbestand wurde in letzter Zeit aber auch zu einem Problem für umliegende Alpbetriebe. Die stattlichen Hirsche geniessen das saftige Gras der Alpweiden, auch wenn dieses eigentlich für jemand anderen gedacht wäre, ein cleveres Kerlchen eben. Oder sie verursachen durch «Fegen» (Reiben des Geweihs an Bäumen), «Schälen» (Ablösen von Rinde mit den Zähnen) und «Verbiss» (Abfressen von Trieben an Jungbäumen) Schäden am Wald. Daher mussten in letzter Zeit auch einige Hirsche dran glauben – in Spezialbewilligungen wurden gezielte Abschüsse im Jagdbanngebiet erlaubt.

Eindrückliche Herbststimmung am Fusse des Tannhorns. (Foto: Sandro Bucher)

Feind Mensch

Die grösste Gefahr für Wildtiere seien aber nicht Flinten, wie uns Heini an unserem nächsten Beobachtungssandort erzählt. Nein, es sei der Mensch selber. Zum Beispiel Naturbegeisterte, welche ungehindert entdecken wollen, die Regeln der Tierwelt missachten und dadurch deren vierbeinigen Bewohner gefährden. Von diesen gäbe es leider immer mehr, so Heini. «Welche Schande», denke ich mir. Da ist Gebiet eine Modellregion für nachhaltiges Miteinander, kanalisiert Besucherströme und trotzdem stellen einige Querulanten alles auf den Kopf. Der quirlige Mario, Tierfan aus Eberseken, will es dann von Dani aber doch genauer wissen: «Du als Wildhüter kannst schon sagen, hast du doch zum Beobachten der Wildtiere immer einen Sitz in der vordersten Reihe! Das will ich auch und trotzdem will ich nicht stören. Geht das?»

Do’s für selbstständige Wildtierbeobachtungen

Dani, die Ruhe selbst, schmunzelt, meint, das ginge schon und schiebt direkt zwei Vorschläge mit hoher Sichtgarantie nach: «Als Standort besonders geeignet sind die Chüblisbühlegg (Parkieren im Wagliseiboden) oder von der Berner Seite her der Tannigsboden: Ab Kemmeribodenbad ein Billet lösen und bis zum Parkplatz bei der Mürrebachbrücke fahren, ab dort zu Fuss weiter bis Schöniseyschwand – Tannigsboden und wieder zurück.»

Zudem macht er auf die Regeln aufmerksam, welche für eigenständige Wildtierbeobachtungen gelten:

  • Wege nicht verlassen
  • Hunde an der Leine führen
  • Allgemein Wild nicht stören (Nachlaufen zum Fotografieren, mit Lampen anleuchten, Lärm machen, etc.)
  • Fahrverbote auf Alpstrassen respektieren

Dani ergänzt, dass gemäss Verordnung über die eidgenössischen Jagdbanngebiete vor allem auch deren Artikel 5 «Artenschutz»  und 6 «Schutz der Lebensräume»  von Bedeutung seien: «Du darst nicht frei Campieren, Mario, und auch deine Drohne muss zu Hause bleiben, denn beides ist im Jagdbanngebiet verboten!»

Von den Biosphärenguides Dani und Heini gibt es eine geballte Ladung Expertenwissen über den König der Wälder. (Fotos: Schweiz Tourismus)

Ein Schlusstrunk auf der Alp, mit nächtlichem Shopping im Hofladen

Unterdessen haben wir unsere (imaginären) Zelte auf der Chüblisbühlegg aufschlagen und befinden uns inmitten des nächtlichen Tonspektakels. Sprechen tut nun keiner mehr, könnten wir uns besser erkennen, stünden sie Munde wohl offen. Es ist etwas vom Berührendsten, was ich je erlebt habe. Gleichzeitig wirkt es für mich auch ein bisschen angsteinflössend und lässt mein Ansehen dieses wunderschönen Tieres noch mehr wachsen. Ich schätze die fachlichen Inputs, welche Dani und Heini zwischendurch geben, genau richtig von der Menge her, und natürlich die Antworten auf meine Fragen.

Der Abspann dieser fantastischen Exkursion bietet noch einmal ein Highlight: Wir stoppen auf dem Rückweg auf der Alp Schneeberg bei Schmids und schliessen den Abend mit einem herbstlichen Heidelbeertrunk aus Anitas Waldküche. Sie produziert vielfältige Spezialitäten aus allem, was die Natur hergibt – dafür ist sie auch als Partnerbetrieb der UNESCO Biosphäre Entlebuch ausgezeichnet – ist von Frühling bis Spätherbst unterwegs und sammelt alles, was die Natur hergibt. Sogar die Konfitürendeckel dekoriert sie liebevoll mit Schneckenhäuschen. In ihrem Hofladen, einem der schönsten der Region, verkauft sie ihre Trouvaillen. Beim Umtrunk können wir uns nun wieder in die Gesichter schauen, glückliche, und tauschen unsere Erlebnisse aus. Wir sind uns einig: Majestätisch ist und bleibt er, der Hirsch.

Danke, wunderbare Sörenberger Tierwelt, für dieses höchsteindrückliche Erlebnis. Ich komme wieder, mit Anstand und Respekt (und werde die nächsten Male genauso berührt sein)!

Die schmucke Alp Schneeberg mit Hofladen, im Hintergrund die eindrückliche Karstlandschaft der Schrattenfluh. (Foto: Richard Portmann)

Abend-Exkursionen Hirschbrunft Herbst 2021

Die abendlichen Hirschbrunft-Exkursionen in Sörenberg finden am 23., 24. und 29. September sowie 3. und 7. Oktober 2021 statt. Geleitet werden sie vom Wildhüter Daniel Schmid oder vom Biologen und Jäger Heinrich Felder. Sie beginnen um 17.30 Uhr beim Berggasthaus Salwideli in Sörenberg und dauern 3 Stunden (inkl. ca. 1 Stunde Wanderzeit). Im Preis von 30 Franken (60 Franken für Familien) sind ein Trunk und ein kleiner Imbiss inbegriffen. Informationen und Buchung


Infos & Tipps


Weitere Erlebnisse in der UNESCO Biosphäre Entlebuch

Nina arbeitet seit über zehn Jahren in der UNESCO Biosphäre Entlebuch. Sie liebt die Natur und die Bewegung und ist oft auch in der Freizeit im Gebiet unterwegs. Im Sommer zu Fuss oder auf Rädern, im Winter auf Ski – von schmal bis breit, mit oder ohne Felle. Sie liebt die Echtheit der Region und die Zusammenarbeit mit den Menschen vor Ort, denn so entsteht Spannendes.

4 Gedanken zu „«Platzhirsch» – für Vierbeiner bei der Hirschbrunft harte Arbeit, für Zweibeiner oft eine Erbschaft

  1. JA, MISEU, DIESES RÖHREN GEHT DURCH MARK UND BEIN !
    WIR KONNTEN DIESES WIRKLICH EINDRÜCKLICHE SPEKTAKEL IN DER REGION CHEMMERIBODEBAD ERLEBEN, DANK DEM INSIDER-TIPP VON NINA LIECHTI – MERCI BEAUCOUP !
    Brigitte

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