Wer Pilze mag, ist in der UNESCO Biosphäre Entlebuch an der richtigen Adresse. Denn gemäss Pilzkontrolleur Robert Lauber wachsen die kulinarischen Köstlichkeiten hier öfters, als woanders. Das liessen wir uns nicht zweimal sagen und begleiteten Pilzkenner Röbi auf einen Pilzkurs in Wiggen. Steil war aber nicht nur die Lernkurve, sondern allem voran das Gelände.
Ich liebe Pilze. Shiitake-Pilze gehören in jede meiner Ramen-Nudelsuppen, im Restaurant kann ich keiner Tagliatelle mit Steinpilzen widerstehen und bei gebratenen Kräuterseitlingen höre ich auf meinem Küchenbalkon Engel singen. Vom Trüffel-Risotto fangen wir jetzt gar nicht an zu reden (Mein Magenknurren ist nämlich jetzt schon lauter als die Laptop-Lüftung). Nebst diesen drei Pilzarten kenne ich noch Eierschwämmli und Morcheln, dann hat es sich wissenstechnisch bereits ausgepilzelt für mich. Mein Pilzvokabular ist also so umfangreich wie das Angebot an geöffneten Restaurants an einem Sonntagabend in Luzern – traurig klein.
Das ändern wir heute. Die liebe Martina (die nach diesem Ausflug vielleicht nicht mehr so schnell wieder auf einen Blogausflug mitkommt, bitte vergib mir Martina) begleitet mich heute in die UNESCO Biosphäre Entlebuch zu einem privaten Pilzkurs. Ja, wir gehen Pilzeln! Oder wie es anscheinend auf Hochdeutsch heisst: Wir gehen in die Pilze! Weird, I know.
Als das Postauto beim Egghus in Wiggen langsam zu einem Halt kommt, sehen wir unseren heutigen Kursleiter Robert Lauber bereits fröhlich grinsend auf uns warten. Nach einer kurzen Autofahrt stehen wir bereits am Waldrand, dem Ausgangspunkt für unsere Pilzsuche. Aus dem Kofferraum packt Röbi einen grossen, geflochtenen Korb aus, der in mir starke Rotkäppchen-Vibes auslöst. Der gelernte Metzger und Koch fackelt nicht lange und jagt uns sogleich über die Wiese zu einem Stacheldrahtzaun. Ich ahne schlimmes.
Down the Rabbit Hole
Flink wie ein Wiesel schlüpft Röbi unter dem Zaun durch. Martina und ich folgen ihm – etwas weniger flink. Auf der anderen Seite angekommen, öffnet sich der Wald zu unseren Füssen. Wortwörtlich, denn es geht (für unseren Städtlerinnen-Geschmack) ziemlich steil die Böschung runter. Ehe wir uns versehen, stürzt sich Röbi bereits wagemutig den Hang hinab. Wir haben keine andere Wahl als dem passionierten Pilzler mit zittrigen Schritten nachzutaumeln.
Einmal im Inneren des Waldes angekommen, eröffnet sich uns eine neue Welt. Wurzeln, Büsche und Äste liegen verstreut auf dem moosbedeckten Waldboden, Gräben schneiden tiefe Täler in den Wald, in der Ferne höre ich einen Bach rauschen und in den Bäumen zwitschern uns die Vögel heiter zu. Zwischendurch dringen wärmende Sonnenstrahlen in den Wald und tauchen den feuchten Boden in goldenes Licht. So muss sich wohl Alice im Wunderland gefühlt haben, als sie dem weissen Kaninchen in den Kaninchenbau gefolgt ist. Statt in ein Loch folgen wir Röbi unter dem Stacheldraht in die Tiefen des Entlebucher Waldes, wobei Röbi ein ähnliches Energielevel besitzt wie das weisse Häschen bei Alice im Wunderland.
Seit 50 Jahren im Pilz-Game
Dieses Spiel wiederholen wir für die nächsten zwei Stunden: Röbi sprintet voraus, wir stolpern ihm durch das dichte Dickicht hinterher. Wer einen Pilz gefunden hat, ruft den Rest der Gruppe zu sich. Nachdem der Pilz mit einem Messer gesäubert wurde, bestimmen wir gemeinsam das gute Stück.
Hutfarbe, -form, und -oberfläche, Fleisch, Lamellen, Stiel und dessen Merkmale sowie Geruch und Geschmack – all diese Kriterien spielen bei der Pilzbestimmung eine wesentliche Rolle. Darum sei es auch wichtig, dass mensch immer den ganzen Pilz zur Pilzkontrolle mitnimmt, betont Röbi. Der gebürtige Marbacher sucht nicht nur seit 50 Jahren Pilze und bietet seit 20 Jahren Pilzkurse an, er ist auch Präsident des Pilzvereines Escholzmatt und begeisterter Pilzkontrolleur. Die Leidenschaft für Pilze hat er von seiner Mutter geerbt und jetzt sogar an seine Kinder und Grosskinder weitergegeben, sagt er stolz, während er den restlichen Dreck von einem schönen Steinpilz wegschneidet.
Röbis Wissen über Pilze ist verblüffend. Wir schauen uns verschiedene Altersstadien an, unterschiedliche Lamellen, Netzchen und sehen sogar, wie Pilze bei einem Schnitt oxidieren oder eine milchige Flüssigkeit verlieren.
Manchmal war es auch ziemlich offensichtlich, warum bestimmte Pilze so getauft wurden. Der Mehl-Räsling (ein Vorbote für Steinpilze) riecht beispielsweise nach Mehl, wobei der Mandelpilz – genau, du hast es erraten – nach Bittermandeln duftet. Wir haben aber auch an Pilzen geschnuppert, die nach Fisch gerochen oder von Röbi die spannende Geschmacksrichtung «abgestandener Lumpen» aufgedrückt bekommen haben.
Schatzsuche für Erwachsene
Rauf, runter, rauf, runter, unter dem nächsten Stacheldraht durch, rauf, runter, auf einer Wiese die Sicht auf die Beichlen geniessen, immer schön seitwärts traversieren, ja nicht ausrutschen, ja nicht die Kamera an einen Baumstamm brettern, während mensch sich mit der anderen Hand an einem zarten Ästchen festhält. Und Lächeln dabei nicht vergessen.
Wo wir so Indiana Jones mässig durch den 30 Grad steilen Wald hechten, frage ich mich, ob Pilzeln eigentlich, wie eine Schatzsuche für Erwachsene ist oder doch eher ein Achtsamkeitstraining im Freien. Mensch muss nämlich die Augen schon sehr gut öffnen und achtsam durch den Wald streifen, um die kleinen Schätze zwischen gleichfarbigen Blättern und dunklem Waldboden zu erspähen. Aber wenn ich unsere Gesichter sehe, nachdem wir aus eigener Kraft einen neuen Pilz gefunden haben, dann kann ich beiden Thesen nur zustimmen.
Ich habe gar nicht lange Zeit diesen Gedanken weiterzuverfolgen, da winkt uns Röbi bereits aus einem mit grossen Farnen überdeckten Waldabschnitt zu sich. Er hat eine grosse Gruppe an Totentrompeten gefunden. Eine schwarze Pilzart, welche anscheinend wunderbar in dunklen Saucen zur Geltung kommt. Also rein damit in den Rotkäppchen-Korb.
Im bekannten Captain Jack Sparrow Gang balancieren wir durch das bauchnabelhohe, mit tiefen Sumpflöchern durchsetzte Gras. Ich bin wirklich froh, über meine hohen Wanderschuhe. Die haben sich heute im steilen Gelände und im knöcheltiefen Matsch als echte Life-Saver für meine zarten Fussgelenke erwiesen.
Gesucht: Ziegenlippe und Fliegenpilz
Nach einer zweistündigen Odyssee durch Wald, Sumpf und Kuhwiese machen wir uns mit rund 13 essbaren, 8 ungeniessbaren und 3 giftigen Pilzarten, sowie 37 Mückenstichen (in Worten: SIEBENUNDDRESSIG) auf den Heimweg.
(Fun Fact, der gar nicht mal soooo funny ist: Anscheinend stechen Mücken durch schwarze, hautenge Kleidung durch als wäre es Butter. Hatte ich schwarze, enge Leggins im Wald an: Ja, vielleicht. Hatte ich mich vor diesem Ausflug mit Mückenspray eingenebelt, da mich Mücken und Zecken ansonsten wie ein italienisches All-You-Can-Eat-Buffet aufgefressen hätten: Ebenfalls Ja. Aber halt nur an den nackten Armen, nicht an den Beinen. Dort schützen ja die Leggins, dachte ich. Aha, genau).
Zurück zur Hauptattraktion des heutigen Tages: Unsere gesammelten Pilze. Auch wenn wir für unser Verständnis viele verschiedene Arten gefunden haben, ist Röbi nicht ganz happy mit der Ausbeute. Er hätte mit uns gerne noch ein paar Pfifferlinge, Ziegenlippen oder Maronenröhrlinge gesammelt. Ich persönlich hätte gerne noch einen leuchtendroten Fliegenpilz fotografiert, aber auch am besagten Fliegenpilz-Hotspot schossen die weissgepunkteten Vorzeige-Märchenpilze, welche eigentlich viel weniger giftig sind als der Volksmund unlauter behauptet, nicht aus dem Boden. Schade.
Die heissen Sommertage und der sehr nasse Frühling haben sich negativ auf das Pilzwachstum ausgewirkt, meint Röbi und fügt an: «Die Vielfalt hat heute leider gefehlt, darum mussten wir auch in etwas abgelegenere Ecken des Waldes abtauchen, um überhaupt ein paar Pilze zu finden.» An einem normalen Kurstag hätte er die Leute nicht in solch prekäre Abschnitte zum Pilzeln geschickt, meint Röbi lachend. Uns hätte er das zugetraut.
Martina und ich wechseln kurz einen Blick und nicken uns aufmunternd zu: Wir sind stolz auf uns, dieses wilde Abenteuer heil überstanden zu haben (zu diesem Zeitpunkt wussten wir noch nicht, dass der halbe Wald an uns geknabbert hatte).
Ein Glückspilz in der Küche
Bei Röbi zuhause sortieren und säubern wir die Pilze. Normalerweise würde sich die Gruppe am zweiten Kurstag in der alten Käserei oder in einer Hütte treffen. Da wir heute aber privat in die Pilze gingen (irgendwie schon ein witziger Ausdruck…) finden wir uns mit einem Glas Zitronenminzen-Eistee auf Röbis Veranda wieder.
Als gelernter Koch schlägt Röbis Herz nicht nur im Wald, sondern auch in der Küche. Von der Curry-Paste über den Holunderblüten-Balsamico und die Magerquark-Salatsauce ist alles selbstgemacht. Als Vorspeise hat Röbi bereits einen Salat aus weissen sowie roten Randen, Karotten, Peperoni und Äpfeln zubereitet. Als Topping gibt es ein paar Eierschwämmli, welche vorher mit Bouillon und Butter angeschwitzt wurden.
Zwei spannende Fakten, die wir beim Kochen mit Röbi gelernt haben: Pilze sollte man erstens nie waschen (ausser sie sind wirklich sehr dreckig) und zweitens immer kochen. Einerseits werden beim Kochen Parasiten wie der Fuchsbandwurm abgetötet, andererseits schmecken Pilze mit etwas Butter angebraten einfach so viel besser als roh. Das können wir seit dem Pilzkurs in der UNESCO Biosphäre Entlebuch blindlings unterschreiben. Denn nachdem wir den Salat weggeputzt hatten, flüstert mir Martina zu: «Das waren die besten Eierschwämmli, die ich je gegessen habe». Ich kann ihr nur wortlos zunicken. Ich wollte ihr gerade dasselbe sagen.
Nach einer kurzen Pause widmen wir uns der Zubereitung des Hauptganges, dem Pilz-Risotto. Steinpilze, Eierschwämmli, Frauen-Täublinge, Schaf-Porlinge, Pfeffer-Röhrlinge, Flockenstielige Hexen-Röhrlinge, Perlpilze und noch ein paar weitere Arten, welche ich nicht mitschreiben konnte, wandern gemeinsam mit einem Gutsch Weisswein in den Topf mit den glasierten Zwiebeln. Nach 20 Minuten steht auch die Belohnung des heutigen Tages auf dem Tisch und wir schlagen uns genüsslich den Bauch voll.
Ans Eingemachte gings für uns aber dann doch nicht mehr, da uns dafür endgültig die Pilze fehlten. An einem normalen Kurstag würden die Teilnehmenden nun noch Pilze einlegen und diese mit nach Hause nehmen. Aber eben – dieses Wetter…
Eine Erfahrung fürs Leben
Mit einem vollen Bauch verabschieden wir uns von Röbi und treten unsere Heimreise nach Luzern an. Auch wenn die zweistündige Pilzsuche uns im steilen Wald so paar Mal den ganzen Mut zusammenkratzen liess, war der Pilzkurs definitiv eine Erfahrung, die wir so schnell nicht mehr vergessen werden. Röbi konnte uns die Pilze auf charmante Weise näherbringen und hat uns mit seinem enormen Wissen und seiner Leidenschaft für Pilze fasziniert. Wir gehen sicher wieder einmal in die Pilze.
Röbi möchte an dieser Stelle nochmal betonen, dass lange Hosen sowie hohe Wanderschuhe ein Muss sind für diesen Pilzkurs. Meine Ergänzung: Ja, ich stimme Röbi zu aber zieht euch lange, helle und nicht enganliegende Kleidung über und schüttet euch vorher einen halben Liter Moskito- und Zeckenspray über den Leib. Google meint, das hilft. Also, um nicht gestochen zu werden, nicht um Pilze zu finden. Dafür braucht ihr schon einen Röbi.
Weitere Informationen & Links:
- Pilzkurse mit Röbi im 2025
- Weitere Kurseangebote in der UNESCO Biosphäre Entlebuch
- Herbstausflüge in die UNESCO Biosphäre Entlebuch