Den Rollstuhl mit dem Kajak tauschen
Kategorien Allgemein, Empfehlungen, Menschen, Nachhaltigkeit, Natur, Nidwalden, Wassersport
Heute ist es so weit! Cyrill, seit Kind im Rollstuhl, wechselt ins Kajak und geniesst eine stimmungsvolle Fahrt im Sonnenuntergang. Obwohl das mit dem Sonnenuntergang so eine Sache ist.
Mein Telefon klingelt, ich geh ran und eine junge Männerstimme meldet sich: «Reto, ich bin da!» Im Gegensatz zu anderen, kann Cyrill die Treppe zum Wassersportzentrum nicht zu Fuss meistern. Er sitzt im Rollstuhl und ist daher auf den Treppenlift angewiesen. Das ist nur eines von vielen Hindernissen für ihn, aber heute bauen wir Hindernisse ab und gehen gemeinsam Paddeln.


Sonnenuntergang anstatt Vollmond-Paddeln
Cyrill kommt nicht zum ersten Mal bei uns zum Paddeln. Entdeckt hat er das Kajakfahren an den Kanu-Erlebnistagen vor ein paar Jahren. Seit da haben wir beispielsweise eine Sonnenaufgangsfahrt unternommen, er ist ins Kanulager mitgekommen und hat dort sogar Wildwasser-Erfahrungen gesammelt. Ebenfalls meisterte er schon mehrere Male die Halbmarathon-Strecke des Kanu-Marathons auf dem Vierwaldstättersee. Heute soll es aber gemütlicher zu und her gehen. Vorgesehen war, dass wir gemeinsam im Vollmondschein paddeln. Aufgrund der schlechter werdenden Wettervorhersagen haben wir kurzfristig auf ein Sunset-Paddeln vorverschoben.
Ins Wasser gerollt
Als erfahrener Paddler weiss Cyrill wie es läuft. Umziehen in der Garderobe, mit dem Treppenlift wieder herunter in die Bootshalle, wo wir unser heutiges Kajak auswählen. Wir entscheiden uns für ein 2er Seekajak, wobei Cyrill auch allein im Kajak paddeln könnte. Er braucht nicht einmal mehr einen speziellen Sitz oder Ausleger, welche das Kajakfahren auch für Menschen im Rollstuhl ermöglichen. All dies wäre dank der Unterstützung von der Stiftung Cerebral vorhanden, aber ist in unserem Fall nicht notwendig. Er benötigt einzig ein Kissen unter seinen Beinen, dass sich diese nicht ständig hin und her bewegen. Das Kajak befestigen wir auf einem überdimensionierten Kanu-Wagen mit grossen Rädern. So kann Cyrill bereits bei der Bootshalle den Transfer vom Rollstuhl ins Kajak machen und wir können somit den Rollstuhl in der Bootshalle lassen. Danach ziehe ich das Kajak inklusive Cyrill zum See. Zum Glück haben wir eine breite und flache Rampe in den See, über welche wir das Boot ins Wasser lassen können. Sobald das Boot eingewassert ist, werden die Räder entfernt und wir sind bereit für unsere Kajakfahrt.


Die Sonne im Rücken
Nachdem ich mich ebenfalls ins Kajak gesetzt habe, starten wir. Heute ist es tendenziell etwas windig und wellig. Das sind wohl die Vorboten des aufkommenden Wetterwechsels. Bei diesen Bedingungen war es eine gute Entscheidung unsere Tour im 2er zu unternehmen. Wir paddeln mit der Sonne im Rücken Richtung Beckenried. Die zahlreichen Bergspitzen rund um uns herum sind noch schneebedeckt und auch auf dem See ist es heute eher kühl. Das kümmert uns jedoch gar nichts und wir geniessen die abendliche Kanufahrt. Ausser uns scheint heute niemand auf dem See zu sein. Cyrill ist begeistert und ruft in den Wind hinaus: «So genial, einfach super!»



Die Wolken fast als Spielverderber
Nach ungefähr einer Stunde wenden wir das Kajak mit dem Ziel zurück nach Buochs, um in den Sonnenuntergang zu paddeln. Die just in dem Moment aufkommenden Wolken machen uns allerdings einen Strich durch die Rechnung. Mehr und mehr verdecken diese die Sonne, welche sich nun langsam hinter dem Bürgenstock heruntersenkt. Trotz den Wolken erleben wir einen stimmungsvollen Sonnenuntergang und es schmälert unsere Freude an dieser Tour in keiner Weise. Glücklich und völlig ausgeglichen kehren wir zurück zum Ausgangsort, wo ich das Boot mit Cyrill wieder ans Ufer ziehe, den Kanuwagen montieren und wir zurück zum Wassersportzentrum rollen.


Kanufahren als Chance
Einmal mehr bin ich von der Kanufahrt mit Cyrill begeistert. Einerseits weil es immer viel Spass macht mit ihm unterwegs zu sein. Anderseits aber auch deshalb, weil von aussen niemand merkt, dass Cyrill auf den Rollstuhl angewiesen ist. Mir fällt keine andere Sportart ein, bei der man Menschen mit und ohne Gehbehinderung nicht unterscheiden kann. Selbstverständlich ist für Menschen im Rollstuhl das Kajakfahren deutlich schwieriger, aber schlussendlich sitzen wir im gleichen Boot und haben gemeinsam Spass miteinander, so auch dieses Mal mit Cyrill bei Abendstimmung. Und übrigens, die Vollmond-Tour werden wir selbstverständlich bei nächster Gelegenheit nachholen. Darauf freuen wir uns bereits jetzt.






Weitere Informationen & Links
Gast-Blogger: Reto ist seit seiner Jugendzeit leidenschaftlicher Kanufahrer und hat im Verlauf der Jahre verschiedene Ausbildungen in diesem Bereich sowie im Tourismus absolviert. Jährlich verbringt der Kanu-Guide zahlreiche Stunden auf den Gewässern der Region, welche ihn immer wieder aufs Neue faszinieren.
