Die meisten Menschen sammeln Briefmarken oder Kaffeerahmdeckel. Sepp Stadelmann sammelt Flaschen. Ich habe den quirligen «Flaschensepp» in seinem Flaschenmuseum in Willisau besucht und mit ihm über Kapuziner, Flaschen-Auffangstationen und die Faszination hinter seinem ungewöhnlichen Hobby geplaudert.

Eine ausgetrocknete Schlingnatter aus dem Jahr 1816 schaut mich ziemlich dehydriert aus dem inneren einer Flasche an. Ok, weird. Ich laufe etwas weiter und entdecke grüne Giftflaschen mit Totenkopfsymbolen drauf – uuund weiter. Eine traditionelle Kürbisflasche, «Dog-Secco» (Prosecco für Hunde – don’t ask) und und und – es müssen tausende Flaschen sein die mich hier im Willisauer Flaschenmuseum umgeben. «Etwa 7’500 sind hier oben im Museum ausgestellt, die restlichen Schätze sind sicher im Keller verstaut. Insgesamt beträgt meine Sammlung rund 40’000 Flaschen», liest Sepp meine Gedanken. Fast hätte ich meinen Waldtee zurück in die Tasse gespuckt – 40’000? Das sind beträchtlich viele Objekte zum Abstauben, schiesst es mir durch den Kopf (ich muss mich bereits wie meine Mutter anhören, haha).

3 Schlangen, 1 Skorpion und 1 Wurzel beobachten mich.

Wie alles begann

«Flaschensepp», wie er unlängst auch über die Willisauer Dorfgrenzen bekannt ist, setzt sich zu mir an den Tisch. Er trägt ein paar ausgewaschene Jeans, ein kariertes Hemd und schwarze Hosenträger. Sein Markenzeichen bleibt aber die bunt gefärbte Haarlocke. Und natürlich sein ungewöhnliches Hobby. «Ich lebe nicht von Flaschen, sondern für Flaschen», sagt er mit einem Zwinkern. Diese Nacht habe er sogar von Flaschen geträumt (natürlich in seinem Flaschenbett, kein Witz). Wir lachen und Sepps Haarlocke wippt fröhlich mit.

Strahlemann und Flaschenliebhaber Sepp.

Zusammen mit dem Flaschenverein führt Sepp das grösste und wohl auch einzige Flaschenmuseum der Schweiz. Warum ausgerechnet Flaschen, frage ich den Gründer und Kurator des Museums: «Während meiner Lehre als Koch bin ich aufgefallen. Ich sei nervös, hätte zittrige Hände. Meine Therapeutin hat mir ans Herz gelegt, etwas mit den Händen zu werkeln, das sollte mich beruhigen. Also habe ich angefangen die leeren «Gütterli» bei mir auf der Arbeit mit Schnur zu umwickeln. Und da ist mir aufgefallen, wie enorm unterschiedlich Flaschen sein können. Flaschen mit kurzen und etwas längeren Hälsen, mit dicken Bäuchen, mit Schraubverschluss oder Deckel. Das war wohl der Beginn der Faszination».

Mit diesen umschnürten Fläschchen begann alles.
Falls ihr euch gefragt habt, was eine Kürbisflasche ist (kleine runde Flasche links).

Wir stehen auf. Sepp zeigt mir die geschnürten Flaschen oder die «Kinder», wie er seine Flaschensammlung auch liebevoll nennt. «Nach meiner Lehre wusste ich nicht mehr wohin mit all den Flaschen. Ich bin mit zehn Geschwistern aufgewachsen, zu Hause gab es also keinen Platz. Da bin ich mit säckeweisen Flaschen zur Altglas-Entsorgung gefahren und gerade als ich den ersten Sack in die Tonne kippen wollte, lag zuoberst auf dem Haufen ein besonders hübsches Exemplar. Ich brachte es nicht übers Herz die Flaschen zu entsorgen. So akzeptierte ich mein Sammler-Dasein und eröffnete 2009 dieses Museum in der ehemaligen Käserei Käppelimatt».

Von milchspendenden Zuckerdosen und heimlifeissen Kapuzinern

Sepp ist ein fantastischer Geschichtenerzähler. Charismatisch, witzig und doch mit Tiefgang. Es ist verblüffend, wie er seinen Gästen die Hintergrundgeschichte zu jeder einzelnen Flasche zum Besten geben kann. Ich bekomme zum Beispiel eine 200jährige Flasche zu sehen, welche wie eine gläserne Zuckerdose aussieht, in Wirklichkeit aber ein Schoppen ist. Das sei Absicht, meint Sepp. Früher war es nämlich verpönt, den Schoppen für die Neugeborenen auf den Tisch zu stellen, also musste frau ihn etwas clever tarnen (ich verzichte hierbei auf meinen feministischen Kommentar und verdrehe stattdessen vielsagend meine Augen).

Die als obszön gehandelte «Zuckerdose».
Ganz viele Ausführungen des Kölner «Schmöckiwassers» 4711.

Wir springen von Milch zu einer Luzerner Redensart, welche Sepps Grossmutter ihm mündlich überliefert hatte. Wenn Bekannte zu Besuch kamen, welche mensch nicht überaus mochte und die nicht vorhandene Gastfreundlichkeit durch die Blume vermittelt werden sollte, dann fiel der Spruch: «Du darfst einmal am Kapuziner riechen». Der Kapuziner ist eine etwa 30cm hohe braune Flasche in Form eines Kapuziners, gefüllt mit dem teuersten Schnaps der Familie. Inklusive der versteckten Botschaft: Sorry Amigo, du bist nicht wichtig genug, dass wir dir von unserem edlen Wässerchen zum Kosten geben. Aber daran riechen darfst du.

Flaschensepp besitzt ein ganzes Kloster an Kapuzinern.
Auch dieses Exemplar gilt wohl als heimlifeisse Flasche.

Auch Produktionsfehler werden im Flaschenmuseum zelebriert. Falsche Deckel, verkehrte Etiketten, schräge Hälse – hier sind alle willkommen. Sogar auch Nicht-Flaschen. Hinter einem Vorhang an Pet-Flaschen (of course) befindet sich das «Flaschenforum», die Sonderausstellung von anderen Mitglieder*innen des Flaschenvereins. Sepp zeigt mir eine Armada an Sparschweinen und Elefanten und noch mehr Flaschensammlungen, welche er anscheinend inspiriert hatte. «Du bist ja ein richtiger Influencer, Sepp!» rufe ich laut raus und Sepp muss etwas kichern.

Durch den PET-Vorhang gelangt mensch in die Sonderausstellung.
Natürlich bestehen die meisten Badezimmer-Komponenten auch aus Flaschen.

Auf die äusseren Werte kommt es an

Die Frage nach Sepps Lieblingsflasche ist schnell und mit einem Augenzwinkern beantwortet: «Ich habe keine Lieblingsflasche, wie eine Mutter kein Lieblingskind hat». Der (ehemalige) Inhalt der Flaschen ist Sepp ebenso egal, wie das Material oder die Marke. Chanel Numéro 5, seltene Cola-Flasche, Champagner-Magnumflasche – für Sepp zählt nur, dass die Flasche eine funky Eigenschaft und eine tolle Geschichte besitzt. Wertvoll sind sie aber alle. Auch wenn die Flasche anno damals vielleicht 30 Rappen Pfand hatte, reicht der heutige Wiederbeschaffungswert von einer halben Million Franken bis unbezahlbar. Nicht zu sprechen vom emotionalen Wert für Flaschensepp oder der/die Besitzer*in, welche die Flasche im Museum abgegeben hat.

Bei diesem blauen Erbstück musste Sepp der Besitzerin hoch und heilig versprechen, es niemals aus dem Museum wegzugeben.
40’000 Flaschen und 40’000 Geschichten.

Und was hat es mit der roten Telefonkabine vor dem Museumseingang auf sich? «Das ist die Flaschenklappe. Inklusive flauschiger Wolldecke, wenn jemand sein wertvolles Flaschenbaby in einer kalten Nacht hineinlegen sollte und es besonders warmhalten möchte». Dass nach dem Verschluss der Klappe der Alarm und ein Lichtsignal losgeht, sei aber noch in Planung.

Abgeleitet vom Wort «Telefon» nennt Sepp die Konstruktion zwar nicht «Flaschenfon» aber «Flaschen von…».

Nach zwei Stunden heisst es für mich wieder aufzubrechen und Sepps Flaschenuniversum zu verlassen. Schade eigentlich, mein Gehirn hätte noch viel Kapazität für weitere witzige, historische und kieferfallende Geschichten gehabt. Muss ich wohl wiederkommen. Während der Bus abfährt, werfe ich noch einen letzten Blick Richtung Flaschenmuseum und die 7,5 Meter hohe grüne Flasche davor. Die grösste Flasche der Schweiz beinhaltet aber keine Flüssigkeit, sondern Sepps Notausgang aus seiner Wohnung. Ich schiebe mir die Kopfhörer in die Ohrmuscheln und drücke auf Play: Genie in a bottle, von Christina Aguilera ertönt. Bei all dem Zufall kann ich mir das Schmunzeln fast nicht verkneifen.  

Nützliche Infos

  • Das Flaschenmuseum ist jeweils am vierten Sonntag des Monats von 10:00 bis 16:00 Uhr geöffnet.
  • Vor Ort führt der Flaschensepp oder eine andere Museumsfachperson durch die Ausstellung.
  • Der Eintritt kostet CHF 5.-.
  • Das Museum ist gut erreichbar mit dem ÖV: Mit dem Bus 63 bis an die Endstation «Käppelimatt» fahren.


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Egal ob im Tanzstudio oder an der Bushaltestelle, Laila ist immer tanzend anzutreffen. Mit einem Lachen im Gesicht und einer Fotokamera in der Hand sucht die gebürtige Luzernerin überall nach Geschichten und Menschen die sie inspirieren. Oder einfach nach weiteren Orten um tanzen zu können. Mehr von Laila auf www.laila-schreibt.com

1 Gedanke zu „Sepp in a bottle

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