Back to the (Tannen-)roots

Kategorien Allgemein, Kultur, Willisau

Fasnacht steht vor der Türe und ich auf dem Schlauch. Zünfte, Bräuche, Schnaps um 10 Uhr morgens – Fasnacht ist für mich nach wie vor eine sehr überwältigende Welt mit vielen bunten Fragezeichen. Dieses Mal ruft mich die Fasnacht nach Willisau zu den “Enzilochmännern”, wo ich die Truppe beim traditionellen “Chresen” begleiten werde. Wenn das für dich auch ein Fragezeichen ist, dann empfiehlt es sich jetzt weiterzulesen.

Die Bustür öffnet sich und ich lasse mich in die frostige Januarkälte fallen. Mein Handy zeigt den 2. Januar 2023 an. Berchtoldstag – oder derjenige Tag, an welchem die Enzilochmänner aus Willisau ihre traditionellen Fasnachtskostüme herstellen. Und das nicht aus Stoff oder Plastik, sondern aus echten Tannenzweigen, hier “Chres” genannt. Ja, ich habe auch einen Moment gebraucht, um mir das vorzustellen. Ich freue mich auf die stüpfige Angelegenheit und das Eintauchen in einen mir unbekannten Fasnachtsbrauch (einer von vielen, wohlgemerkt). Diejenigen, die mich kennen, wissen nämlich: Laila und Fasnacht ist etwa so geläufig, wie ein Fisch auf einem Fahrrad.

09:30 Uhr – Kafi Schnaps und Schinkengipfeli

Ich treffe die fröhliche Truppe zum morgendlichen Apéro bei einem der Mitglieder zu Hause. Weil das traditionelle Chresen draussen stattfindet und mehrere Stunden dauert, wärmen sich die Enzilochmänner davor mit reichlich Schinkengipfeli, Käsekuchen und Holdrio auf. Auf die Frage, ob ich meinen Kafi mit Schnaps möchte, schüttle ich schüchtern den Kopf und vergewissere mich mit einem Blick auf die Uhr, dass wirklich erst 09:30 Uhr ist.

Kleiner Geschichtsexkurs aus dem Napfgebiet: Die Enzilochmannen gehören zur Karnöffelzunft Willisau und repräsentieren die verstossenen Talherren aus der Enziloch-Sage. Gemäss den Erzählungen der Einheimischen hausen in den Höhlen des Enzilochs ruhelose Geister und Gespenster, welche zu Lebzeiten Macht und Reichtum missbraucht oder Arme und Wehrlose unterdrückt haben. So weit, so authentisch.

10:45 Uhr – Ran an die Tannenzweige

Nach einer Stunde geht’s ans Eingemachte und die Gruppe verschiebt sich ins Olisrüti auf den Bauernhof von René und Claudia Kurmann. Beim Chresen sind nebst den Aktivmitgliedern auch Alt-Enzilochmänner sowie Kinder am Start. Es herrscht eine ausgelassene Stimmung, Witze werden über die Tische gerufen, warmer Holdrio findet seinen Weg zwischen Tannenzweigen und fleissigen Arbeiterhänden. Auch ich wehre mich nicht mehr gegen das Spassgetränk, welches mir beim Vorbeigehen in die Pfoten gedrückt wird und mache mich an die Arbeit.

Fast ein bizzli wie Stricken. Der Tannenzweig wird zuerst von unten durch die Lasche eingefädelt und die einzelnen Ärmchen oben wieder rausgezupft.

Ich bahne mir meinen Weg durch die Halle und treffe auf Peter – Alt-Enzilochmann und Pionier, was die ausgefallenen Enzilochmänner-Kostüme betrifft. Vor der «Peter-Ära» waren die Enzilochmänner eine unabhängige Gruppe von Männern in bereits fertig gekauften Kostümen aus Plastik-Tannenzweigen. Peter revolutionierte das Game, indem er gemeinsam mit einer Freundin ein Gwändli mit elastischen Laschen kreierte und frische Tannenzweige dransteckte. Also zurück zur Natur und den Wurzeln der Enzilochsage (oder back to the (Tannen-)roots, höhö. Okei, hat sich in meinem Kopf witziger angehört). Das war 1990. Heute sind die Enzilochmänner fester Bestandteil der Zunft und aus dem Willisauer Brauchtum nicht mehr wegzudenken. «Wir sind diejenigen, die an der Fasnacht am besten riechen», erzählt mir Peter lachend und stutzt seiner Enkeltochter einen besonders hartnäckigen Zweig für das Kostüm zurecht.

Zum traditionellen Enzilochmann-Kostüm gehört neben einer schaurigen Holzmaske ein schweres «Geröll», ein Gurt mit lauten Glocken, sowie ein «Grotzli», eine kleine ausgerupfte Weisstanne inklusive Wurzeln. Das ganze Kostüm wiegt dann schon mal locker 15 bis 20kg. Dass die Enzilochmänner bei den Umzügen immer in Bewegung sind, tanzen und rennen, macht dieses Brauchtum zu einem kostenlosen Fitness-Programm. Da kann Crossfit mal schön einpacken.

Doch woher kommen die Tannenzweige, will ich von Dani, amtierender Ober-Enzilochmann wissen. «Das Zusammensuchen der Tannenzweige geschieht immer an unseren Waldweihnachten. Die Kooperation fällt für uns extra ein paar Weisstannen, welche wir anschliessend am Vormittag des 24. Dezembers entasten, zurechtschneiden und verladen müssen.» Auf meine Frage, ob mensch dann nicht die alten Weihnachtsbäume recyclen könnte, schüttelt er nur amüsiert den Kopf. «Bis die Fasnacht anfangen würde, wäre das Kostüm schon komplett ausgetrocknet und die Nadeln am Boden. ”

Sorgfältig werden die fertigen Kostüme auf allfällige Löcher begutachtet.

13:00 Uhr – Pause mit Raini und Ingwerer

Um 13:00 Uhr werden die ersten Jacken und Hosen fertig. Alle packen an, denn wie Peter bereits ein paar Momente vorher durch den Raum verkündet hat: “Wir sind hier erst fertig, wenn alle fertig sind!” Die wohlverdiente Pause zeigt sich dann in Form von Raini, neuer Zunftmeister der Karnöffelzunft, welcher mit Ingwerer-Shots reingeschneit kommt. Auch der hat ein paar lausbubische Geschichten auf Lager für mich. Von gekidnappten Grenzwächtern, waghalsigen Bier-Übergabemanövern auf der Autobahn und Apéro-Crash-Aktionen in einer Deutschen Bank scheint eine Geschichte verrückter als die andere zu sein. Die Enzilochmänner zwinkern mir zustimmend zu: Ja, der Raini mochte früher schon noch ziemlich “gschere”.

Das Brauchtum endet dann so feurig, wie es beim “Chresen” begonnen hatte. Zum Fasnachtsende reissen sich die Enzilochmänner mit Hilfe der Kinder das Chres von den Kleidern und verbrennen es im grossen Feuer, welches auf dem Platz vor der Kirche lodert. Danach tanzen sie gemeinsam mit dem Zunftmeister um das Feuer und verabschieden so die Fasnachtszeit.

Nach knapp sechs Stunden ist die Luft dann draussen. Bier und Wurst besiegeln den Tag.

Auch für mich wird es Zeit Abschied zu nehmen. Die Kostüme sind fertiggestellt, die obligate Wurst brutzelt schon auf dem Grill und Peter ist happy wie ein junges Fohlen, dass das traditionelle Chresen einmal mehr ein voller Erfolg war. Und ich bin happy, dass ich etwas Fasnachtsluft schnuppern durfte. Aus sicherer Entfernung, natürlich.


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Egal ob im Tanzstudio oder an der Bushaltestelle, Laila ist immer tanzend anzutreffen. Mit einem Lachen im Gesicht und einer Fotokamera in der Hand sucht die gebürtige Luzernerin überall nach Geschichten und Menschen die sie inspirieren. Oder einfach nach weiteren Orten um tanzen zu können. Mehr von Laila auf www.laila-schreibt.com

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