Schweizer Dialekte: Reif fürs Museum

Kategorien Museum / Ausstellung, Nidwalden, Tradition

«Die Mundart stirbt, junge Menschen verlernen die Dialekte.» Auch schon gehört? Alles falsch! Noch nie war Mundart so beliebt wie heute. Mundart-Kultur boomt. Das zeigt die Ausstellung «Heepe, gigele, gäitsche – Mundart in der Deutschschweiz» im Salzmagazin des Nidwaldner Museums. Sie räumt mit Vorurteilen auf, entwirrt alte Zöpfe – und putzt die Ohren durch.

Ist über Mundart nicht schon alles gesagt? Mundart kann man doch nicht ausstellen? Das frage ich mich auf dem Weg in die Ausstellung «Heepe, gigele, gäitsche» im Salzmagazin in Stans. Ich merke rasch, dass beides nicht stimmt. Und noch mehr Vorurteile kippen an diesem Nachmittag.

Das Salzmagazin in Stans

Vier Ankerpersonen begrüssen mich am Anfang. Simon (30) ist einer von ihnen. Der junge Nidwaldner arbeitet als Journalist in Luzern. Seine Stimme begleitet mich durch die Ausstellung. Ich muss die Ohren spitzen, denn sein purer Wolfenschiesser Dialekt ist ungewohnt. An einer der Hörstationen sagt er etwa folgendes: «Heute, wo sich alles so schnell verändert, habe ich das Bedürfnis, eine Tradition zu pflegen. Wenn ich meinen Dialekt rede, kann ich das tun, ohne Dinge mitzumachen, die für mich wirklich alte Zöpfe sind.» So habe ich das noch nie gesehen. Jetzt bin ich wach.

Renate, Simon, Brigitt und Roli aus Nidwalden führen durch die Ausstellung, alle in ihrem eigenen Dialekt

Fragen für Kopf und Herz

Rasch wird mir klar: Hier geht es nicht um den Nidwaldner Dialekt. Sondern um das, was wir in der Deutschschweiz täglich mit unserer Mundart anstellen. Das beliebteste Deutschschweizer Thema für abendfüllende Gesprächsrunden bekommt hier eine riesen Portion Gesprächsstoff.

Die Zürcher Ausstellungsmacherin Jacqueline Häusler und der Obwaldner Gestalter Markus Bucher haben einen Parcours zusammengestellt, der immer wieder neue und aktuelle Blicke auf die Mundart wirft. Klischees haben sie weggelassen. Dafür stellt mir die Ausstellung oft Fragen. Mal tiefsinnig, mal mit hinterhältigem Grinsen: Stirbt der Dialekt, wenn junge Menschen ein regionales Gemisch reden? Schafft der Dialekt Zusammengehörigkeit, weil er Fremde ausgrenzt? Willst du helfen, ein sterbendes Wort zu retten? Ist Hochdeutsch für dich eine Fremdsprache? Was ist dein Lieblingsfluch? Geflucht wird übrigens ganz schön saftig in dieser Ausstellung. Und dann, gleich daneben, fünf wunderschöne Dialekt-Gedichte, die direkt ins Herz treffen.

Wörter und Töne als Ohrenputzer

Dass wir nicht in der Sprache schreiben und lesen, die wir sprechen, ist anstrengend, fördert aber die Neugier und die Kreativität: Die Ausstellung überrascht mit Tönen, Fotos, Exponaten und Texten aus 200 Jahren Mundartforschung und aus fünf verschiedenen Mundart-Wellen in dieser Zeit: Ich staune über ein 611-seitiges Nidwaldner Wörterbuch von 1863, höre Nidwaldner Töne von der Landesausstellung 1939, tauche in die längst verschwundene Welt der Dialektforscher, die für den Sprachatlas der deutschen Schweiz über 1500 stundenlange Interviews führten. Da gibt es ein Gebet aus der «modern mundart»-Bewegung um 1968, vertraute und schräge Mundart-Popsongs und ganz zum Schluss zuoberst im Dach, verstörend und befreiend, ein … doch nein, das will ich hier nicht verraten.

16. Juli 1938, Hüttwilen im Thurgau: Rudolf Hotzenköcherle im hellen Anzug fragt einen älteren Bauern im Gilet mit Stock, wie er in seinem Dialekt das Traggestell nennt, das ein Helfer hochhält. Über 1500 solcher Interviews wurden 1938 bis 1958 für den Sprachatlas der deutschen Schweiz geführt

Auf der Heimfahrt im Zug zwischen Pendlern und Wandergruppen bin ich plötzlich ganz hellhörig. Die Ausstellung hat mir die Ohren geputzt für die Klänge, Wörter und Sätze in meinem Sprachalltag, und ich frage mich: «Ja, läck, und wie rede ich eigentlich?»

Ausstellung im Salzmagazin

«Heepe, gigele, gäitsche – Mundart in der Deutschschweiz»
Mi, 27. Mai – 1. Nov. 2020
Salzmagazin des Nidwaldner Museums
Stansstaderstrasse 23, Stans
Öffnungszeiten: Mi 14–20 Uhr, Do – Sa 14–17 Uhr, So 11–17 Uhr.

Gast-Blogger: Aaron aus Horw


Infos und Tipps


Menschen aus der Region Luzern-Vierwaldstättersee. Sie berichten über ihre persönlichen Erlebnisse, plaudern aus dem Nähkästchen und verraten unbekannte Schätze aus der Region. Ob Malerin, Grafiker oder Bauarbeiter. Sie alle verbindet die Begeisterung für ihre Region.

2 Gedanken zu „Schweizer Dialekte: Reif fürs Museum

  1. Toller Bericht über die Ausstellung, das Konzept klingt sehr gelungen! Das Thema Dialekte und die Entwicklungsgeschichte der verschiedenen Sprache finde ich recht spannend und gerade im Schweizerdeutsch gibt es ja wirklich einige Dialekte. Danke für den schönen Ausstellungstipp! Demnächst bin ich in der Schweiz im Urlaub, da werde ich auf jeden Fall versuchen dem Museum einen Besuch abzustatten.

  2. Ein Aspekt des Artikels, den ich besonders interessant fand, ist die Diskussion über die Rolle der Dialekte bei der Bewahrung der lokalen Kultur und Identität. Meiner Meinung nach ist der Artikel gut geschrieben, informativ und gibt einen Einblick in die sprachliche und kulturelle Vielfalt von Nidwalden. Es wäre interessant, mehr über Dialekte zu erfahren, die in anderen Regionen der Schweiz gesprochen werden.

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