Wenn ich mich mal aus meiner Komfortzone hinaus und ins Lebensgewusel hinein traue, hege ich immer die unterbewusste Hoffnung, ein neues, verstecktes Talent zu entdecken. So begleitete mich auch beim Alphorn-Schnupperkurs in der UNESCO Biosphäre Entlebuch die Frage, ob nicht doch eine geborene Alphornbläserin in mir steckt. Finden wir es gemeinsam heraus.

Selten musste ich bei einer Kursanmeldung derart schmunzeln wie bei der Anmeldung für den Alphorn-Schnupperkurs in Flühli. Spätestens bei der Frage «Wünschen Sie ein Miet-Alphorn?» war bei mir Schicht im Schacht – als könnte ich solch ein monströses Holzinstrument zwischen Brockenhaus-Sofa und halbtoten Pflanzen in meine bescheidene Stadtwohnung quetschen. Die Alphorn-Beschaffungsfrage war also geklärt – auf geht’s nach Flühli.

Ein Schnupperkurs vor schönster Kulisse

In der Welt der Blasinstrumente

Meine Anreise in die schöne UNESCO Biosphäre Entlebuch verläuft reibungslos. Sogar den Schulungsraum im FLÜHLI Hotel Kurhaus finde ich auf Anhieb. Liegt das frisch renovierte Kurhaus doch gleich neben der Bushaltestelle «Flühli Post» und vor dem Kursraum eine bunte Anhäufung von Alphörnern. Das war ein Leichtes. Und wohl auch das leichteste Unterfangen des heutigen Kurstages.

Ob uns der Tee wirklich zu mehr Harmonie verhelfen wird? Wahrscheinlich hätten wir den vor dem Kurs trinken sollen…

Im urchigen Kursraum sitzen bereits einige Teilnehmende an den Tischen und stöbern durch die bereitgelegten Kursunterlagen. Die meisten von ihnen stammen aus der Region, einige sind aber auch extra aus Zürich oder aus der Ostschweiz angereist. Ich entdecke sogleich die beiden Kursleitenden Angela und Lukas – beide mit über zehn Jahre Alphornerfahrung auf ihren jungen Schultern. Während Angela seit ihrem siebten Lebensjahr Blasinstrumente spielt, ist Lukas Musiklehrer für Blechblasinstrumente. Ich ahne schon, dass mir meine zehn Jahre Klaviererfahrung hier nicht viel nützen werden. Doch es ist erst 10 Uhr – und wie man so schön sagt: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Oder in diesem Fall: Wahrscheinlich mit dem ersten Alphorn-Ton.

Unsere heutigen Kursleitenden – Lukas und Angela.

Von krummen Bäumen und Tönen

Nach einer kurzen Vorstellungsrunde tauchen wir auch gleich in die Thematik ein. Wir lernen, dass das Alphorn – dazumal noch aus einer im Hang krumm gewachsenen Tanne gefertigt – ursprünglich als Signalinstrument zu Rufzwecken verwendet wurde. Erst als im 19. Jahrhundert der Wunsch nach einem Schweizer Traditionsgeschehen aufkam, wurde neben Jodeln und Fahnenschwingen, auch das Alphorn als Schweizer Volksinstrument in den offiziellen Traditionskatalog aufgenommen und somit vor dem Vergessen bewahrt.

Der Kurs startet mit einem Theorieblock

Stell dir vor, wenn alle mit selbstgebastelten Holzstamm-Kreationen gemeinsam in einer Gruppe spielen wollen, hört sich das höchstwahrscheinlich unstimmig bis schräg an. Darum fassten die Schweizer:innen im Jahr 1970 den Entschluss, die Alphörner durch eine festgelegte Länge und einen gemeinsamen Grundton zu vereinheitlichen und für das mehrstimmige Spiel fit zu machen. Besonders interessant fand ich, dass die Länge des Alphorns den Grundton bestimmt. Macht auch irgendwie Sinn – Schwingungen – Physik – Ladida und so. In der Schweiz gilt das Fis- (oder Ges-) Alphorn als Standardgrösse, was metertechnisch übersetzt einer Länge von 3.40 Meter entspricht. Als Klangholz wird die Haselfichte verwendet, deren spezielle Wuchsform bis heute wissenschaftlich nicht zweifelsfrei geklärt ist.

Die charakteristische Form des Alphorns war früher der Natur zu verdanken.

Ich weiss auch nicht, warum ich eine 3.40 Meter lange Alphorn-Hülle erwartet hatte, aber die vor meinen Füssen liegenden Gehäuse messen alle etwas über einen Meter. «Das liegt daran, dass das Alphorn mit der Zeit mobiler werden musste. Man wollte an verschiedenen Orten in der Natur musizieren, also musste das Alphorn auf das Bike passen», erklärt uns Angela die Beweggründe für die heutigen meist dreiteiligen Alphörner.

Eher untypisch – mein Miet-Alphorn ist ein zweiteiliges Exemplar

Ein Ton ist besser als keiner

Auf Angelas Anweisung machen wir uns mit den Mundstücken vertraut. «Wo ist hier vorne?», denke ich mir, während ich das glatte Stück Holz in meiner Hand vorsichtig begutachte. Anscheinend soll man ein «Pfff» mit den Lippen formen und kräftig rein pusten. Im Kursraum ertönen die ersten verdrückten Entengeräusche, wobei meine Ente wohl noch an Asthma leidet. Im Gegensatz zu herkömmlichen Blasinstrumenten, die mithilfe von Plättchen Töne erzeugen, müssen wir den Ton beim Alphorn durch unsere Lippen selbst produzieren. Das Alphorn verstärkt diese Schwingungen dann lediglich. Bedeutet: Kommt’s oben schief rein, kommts unten schief raus. Das verspricht nichts Gutes für meine heutige Mission.

Mundstück aussuchen und dann geht’s schon raus zum Üben.

Unsere beiden Kursleitenden fackeln nicht lange und schicken uns nach draussen, um das Erlernte auszuprobieren und gleich selbst Mund anzulegen. Ich werfe mein Miet-Alphorn (sachte) über die Schultern und watschle dem Rest der Gruppe Richtung Schulhaus Flühli hinterher. Auf dem Fussballrasen versammeln wir uns in einem grossen Kreis und stecken unsere Instrumente zusammen. Das geht erstaunlicherweise superschnell und entfacht erneut einen Funken Hoffnung in mir.

Erste Hürde: Überhaupt einen Ton aus dem Alphorn bringen. Gesagt, getan. Lippen anlegen, tief Luft holen, ein «Pffff» rauspressen und ja nicht aufhören zu pusten. Und siehe da – ein Ton! Ich kann es kaum fassen. Im nächsten Schritt ermuntert uns Angela, als Gruppe den Grundton «C» herauszuspüren. «Ist das ein C?», frage ich mich mit einem Side Eye auf meine Kursteilnehmenden, während ich beim Ausatmen bereits zum dritten Mal nach Luft röchle. Die Kühe auf der benachbarten Wiese denken sich auf jeden Fall «Hell no» und galoppieren schmerzerfüllt davon – hinters Schulhaus und ausser Hördistanz.

Kühe auf der Flucht

Stark angefangen, noch stärker nachgelassen

Angela und Lukas teilen die Gruppe in zwei Hälften und wir wagen uns an die nächsten Naturtöne. Eine Terz weiter oben wartet das E auf mich, bei der Quinte das G ­– und sie warten wohl heute noch, denn ich treffe weder E noch G wirklich konsistent, dafür werde ich immer sicherer mit meinem Grundton C. Langsam beginnen wir auch das erste gemeinsam Lied zu üben: C, C, dann E, E und dann für vier Schläge das G halten. Da mensch seine eigenen Alphornklänge nur sehr schlecht hört, empfiehlt es sich, ein Ohr zuzuhalten. Aber selbst dann und sogar nach einem Mundstück-Wechsel hört sich die «Biosphären-Alphorn-Schnupperkurs Melodie» von Bruno Zemp bei mir einfach nur wie ein himmelstrauriges Requiem in fis-Moll an.

Es folgt eine individuelle Übungseinheit. Angela und Lukas spazieren von Person zu Person und geben hilfreiche Tipps und Tricks. Zu diesem Zeitpunkt haben meine Lippen vom vielen Blasen bereits botoxähnliche Züge angenommen und ich komme langsam, aber sicher zur Einsicht – I suck at this. Aber hey, immerhin macht es mir eine Unmenge Spass, überhaupt irgendwelche schiefen Töne aus diesem Holzbogen zu pressen. Während mich die Entlebucher Bergwelt schelmisch anlacht, muss auch ich laut über mich selbst lachen. «Ich gegen mich» – einmal mehr habe ich den Anspruch, von Anfang an perfekt zu sein. Darum darf ich mir immer wieder vor Augen führen, dass dies nur ein Schnupperkurs ist und dass ich hier bin, um zu lernen.

Die getrennten Übungseinheiten sind super, um an den individuellen Herausforderungen arbeiten zu können.

Naturtalente und Naturtöne

Nach der Mittagspause folgt die zweite Übungseinheit in der Gruppe. Ich schaue erneut hinunter auf die 3.40 Meter, die zwischen mir und einer harmonischen Melodie liegen und frage mich, ob meine Schieflage auch daher rührt, dass ich überhaupt keine Singstimme besitze. «Ganz und gar nicht», meint Lukas. «Ob Mann oder Frau spielt beim Alphornspielen keine Rolle, da die Stimmbänder ohnehin nicht zum Einsatz kommen. Es geht darum, die Lippen zum Schwingen zu bringen und sich die Höhen bzw. Tiefen innerlich vorzustellen», erklärt mir der musikalische Ettiswiler. Dann besitze ich wohl weder ein ausreichend grosses Vorstellungsvermögen noch musikalische Lippen.

Das Mittagessen gibt es im frisch renovierten Kursaal

Allgemein zeigt sich, dass diejenigen, die bereits Erfahrung mit Blasinstrumenten haben, einen Tick schneller den Dreh raushaben. Ausser Jonas. Jonas ist 10 Jahre alt und spielt normalerweise Schwyzerörgeli. Jonas ist ein Naturtalent und trällert bereits nach ein paar wenigen Minuten das hohe C auf dem Alphorn. Immer diese versteckten Talente…

Wir gehen zum nächsten Stück. Ich kneife noch ein zusätzliches halbes Auge zu, in der Hoffnung, dass vielleicht DAS Einfluss auf die Tonhöhe haben könnte und versuche, angestrengt dem Notenblatt weiter zu folgen. Gott sei Dank kann ich immerhin Noten lesen. Aber das bringt mich heute auch nicht in den Alphorn-Olymp. Aber hey, was soll’s. Ich habe den ultimativen Plausch, spiele eine zeitgenössisch interpretierte Alphornmelodie mit Blick auf die Schwändiliflue, den Brienzer Grat und die Schrattenfluh und geniesse die frische Luft in der UNESCO Biosphäre Entlebuch.

Ein verstecktes Naturtalent schlummert also nicht in mir. Aber vielleicht könnte ich ja Alphörner dirigieren? Noten lesen kann ich ja.


Weitere Informationen & Links:

Die beliebten Alphorn-Kurse in der UNESCO Biosphäre Entlebuch finden mehrmals pro Jahr statt. Alphorn-Schnupperkurse für Anfänger, Wochenkurse für Fortgeschrittene oder «Alphorn & Wandern», ein kombinierter Kurs wobei inmitten der schönen Biosphären-Landschaft gemeinsam Alphornmusik gespielt und geübt wird.

Die Daten fürs kommende Jahr werden jeweils gegen Ende Jahr kommuniziert.


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Egal ob im Tanzstudio oder an der Bushaltestelle, Laila ist immer tanzend anzutreffen. Mit einem Lachen im Gesicht und einer Fotokamera in der Hand sucht die gebürtige Luzernerin überall nach Geschichten und Menschen die sie inspirieren. Oder einfach nach weiteren Orten um tanzen zu können. Mehr von Laila auf www.laila-schreibt.com

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