Bei «Chibäädärli*», «Fliggholtärä*» und «Kalátzä*» verstehst du nur Bahnhof? Ein Beitrag über die Sprache meiner Heimat, welche sich zwischen meinem Wohn- und Arbeitsort stark verändert.
Das Urner Mundart Wörterbuch zog mich schon als Kind in seinen Bann. Dieser dicke «Schinkä*» sorgte mit seinen Begriffen zu Hause oft für Lacher. Nicht zuletzt dank meiner Freude an der Sprache bin ich beruflich in der Sparte Kommunikation gelandet. Seit dreieinhalb Jahren arbeite ich als sogenannter «Chropf*» im Urserntal, dessen Dialekt sich stark von meinem im Urner Unterland unterscheidet. Warum eigentlich? Meinem ehemaligen Lehrer und Autor des Urner Mundart Wörterbuches Felix Aschwanden habe ich ein paar Fragen gestellt:
Wie unterscheiden sich der Urner und der Urschner Dialekt?
Felix Aschwanden: «Die Geschichte zeigt, dass sich nördlich und südlich der Schöllenen unterschiedliche Völkergruppen niedergelassen haben. So stiessen im Mittelalter die Walser vom Goms VS her ins Urserntal vor, deren alemannische Sprache sich dann unter anderem im Bereich der Laute wie auch des Wortschatzes unterschiedlich entwickelt hatte ».
Was ist typisch für den Urner Dialekt? Was für den Urschner Dialekt?
Aschwanden: «Eine von rund 20 Besonderheiten im Urner Unterland ist der Unterschied zwischen –u(u)- und –ü(ü)- (Palatalisierung). Hier sagt man Hüüs statt Huus, ü(ü)fä statt u(u)fä, Lüüs statt Luus (Laus) etc. Unüberhörbar ist natürlich auch die vielfach bei Aussenstehenden zu Verständigungsschwierigkeiten führende Entrundung, wie etwa beim Adjektiv scheen für standarddeutsches schön oder wie bei den Nomina Ve(e)gel für Vögel, Myyssli für Müüsli (Mäuschen).
In Ursern recht ohrenfällig wirkt hingegen das gedehnte –oo- anstelle von langem Unterländer –aa-, also Joor für schriftdeutsches Jahr. Im Weiteren sei auch auf den heute nicht mehr konsequent durchgezogenen Doppelvokal –eei– anstelle von gedehntem –e- und ebenso auf den Doppelvokal –oou– für gedehntes –o- hingewiesen. So hört man etwa dr Cheeir für „Strassenkehre“ oder meeirä für „mehren“ (durch Erheben der Hände abstimmen) und Boounä für „Bohne“ sowie hoouch für „hoch“».
* Üri Tytsch – Deutsch
– Chibäädärli = besonders empfindlicher Ellenbogennerv, Narrenbein
– Fliggholtärä = Schmetterling
– Kalátzä = Frühstück
– Laggääder = Durchfall
– Schinkä = grosses Lesewerk, Buch
– Chropf (Pl. Chrèpf) = Bezeichnung der Bewohner von Ursern für die Bevölkerung aus dem unteren Kantonsteil
Von was wurde der Urschner Dialekt beeinflusst?
Aschwanden: «Dank der Verkehrslage mit dem Gotthardpass im Süden, der Furka im Westen, dem Oberalppass im Osten und schliesslich der seit dem 13. Jahrhundert begehbaren Schöllenen im Norden gehört es in Ursern seit jeher zur gelebten Tradition, enge nachbarschaftliche Beziehungen zu den angrenzenden Tälern zu pflegen. Folgerichtig konnte sich über solche Verbindungen, die teils durch Heirat zusätzlich verstärkt wurden, eine respektable Zahl von Wörtern im Urschner Vokabular etablieren».
Aus dem Tessin wurden Ausdrücke wie z.B. baschta (< basta) oder Batsching (< bacio) übernommen. Aus Graubünden stammen Wörter wie Schgalfing (< sc(h)alfin) „Strumpfspitze“ oder Schgarnutz (< skernutz) „Papiersack“. Mit dem Aufkommen des Tourismus am Ende des 19. Jahrhunderts blieb in der einheimischen Bevölkerung auch das Wort Schwitter (< sweater), Bretscherhoousä (< breeches) oder das Allerweltswort well hängen».
Welches ist Ihr bevorzugtes Urschner Wort und warum?
Aschwanden: «Zwei möchte ich hier stellvertretend für alle andern hervorgehoben haben: ds Woolgängärli (UMB S. 1011) und speziell für Ursern dr Laggääder* (UMB S. 494). Ds Woolgängärli deswegen, weil hier mit einer einzigen Wortverbindung die unverhohlene Tragik eines willentlich herbeigeführten oder zumindest in Kauf genommenen Kindstodes zusammen mit der entlastenden Vorstellung einer sofortigen Erlösung im Jenseits psychologisch raffiniert verknüpft wird. Beim Laggääder bricht der gnadenlose Volkswitz durch, indem man sich an der Unpässlichkeit eines an der napoleonischen Besetzung beteiligten Franzosen mit dem Spruch herzhaft erfreut: „Dooubä uf em Bäärgli schtood ä Franzoous; är het dr Laggääder, etz good em alls midenand loous!»
Über Felix Aschwanden:
In Altdorf UR aufgewachsen, immatrikulierte sich Felix Aschwanden nach der Matura an der Uni Fribourg, wo er zunächst das Sekundarlehrerpatent und später das Lizenziat erwarb. Ab Herbst 1964 wirkte er als Lehrer bis zur Pensionierung an der Kant. Mittelschule Uri, davon 19 Jahre als Abteilungsleiter und Prorektor. Für seine zahlreichen grösseren und kleineren Veröffentlichungen erhielt Aschwanden diverse Auszeichnungen.
Mein Tipp: Urner Mundartweg
Die Urner Mundart beim Wandern entdecken: Auf dem rund vierstündigen Urner Mundartweg im Isental wird in 13 Stationen der Urner Dialekt vorgestellt. Du erfährst, was das Besondere der Urner Sprache ausmacht und welches typische Urner Wörter sind. Erforderlich sind gutes Schuhwerk und Trittsicherheit.
Hätte eine Frage! Jetzt schneit es ich sage dem als Urnerin fäuserlä! Eine Kollegin behauptet dass sei Zürcher Dialekt? Habe es im Urner Wörterbuch nicht gefunden?
Danke und liebe Grüsse
Hallo do ooba
Bin 70 j zürcherin und wir sagen fiserlä anstelle fäuserlä