Der Name «Gansabhauet» verrät bereits, worum es beim Brauch aus Sursee geht: eine leblose Gans mit einem Säbel und verbundenen Augen abzuhauen. Der Anlass ist in der ganzen Deutschschweiz bekannt und zieht jedes Jahr rund dreitausend Schaulustige an. So brachial das Ritual anmuten mag, seine Entstehung ist eng mit der Wertschätzung der Gans als wertvolles Tier verknüpft, wie mir der Stadtarchivar im Gespräch eröffnet.
Alter Brauch aus Sursee
Aus der Pforte des Surseer Rathauses tritt eine Gestalt. Sie trägt eine Sonnenmaske ohne Sichtlöcher und einen langen, roten Umhang. In der Hand ein Dragonersäbel. Die Gestalt wird unter Trommelwirbel auf die Tribüne geführt. Die Altstadt ist bis auf den letzten Meter gefüllt. Über die Tribüne ist eine Leine gespannt, an deren Mitte eine leblose Gans am Hinterkopf aufgehängt ist. Die Gestalt wird einige Male um die eigene Achse gedreht und macht sich schliesslich tastend auf die Suche nach der Gans. Ist das Tier entdeckt, setzt der vermummte Schläger den stumpfen Säbel an und holt weit zu seinem einzigen Schlag aus. Die Gans muss fallen.
Grosses Interesse aus der Bevölkerung
Um die einhundert junge Männer und Frauen schreiben sich jedes Jahr als Schlägerinnen und Schläger für die Gansabhauet ein, die immer am 11. November stattfindet. Das Los entscheidet, wer wann antreten darf. Es braucht jeweils fünf bis zwanzig Schläge, bis die beiden Gänse heruntergeschlagen sind. Manchmal, so wie im Jahre 2018, geht es aber auch viel schneller.
Die erste Gans fiel nach nur drei Schlägen. Und dann folgte die Sensation. Der Surseer Nick Bürli trat als erster Schläger an die zweite Gans heran. Es war ein schöner Martinstag, die Altstadt rappelvoll. Bürli betritt die Bühne. Die Statur verrät, dass er Eishockeyspieler ist. Die ungebremste Wucht seines Schlages macht mit der Gans kurzen Prozess und das Federvieh fällt.
Unter dem tosenden Jubel von geschätzten vier bis fünftausend Zuschauenden reckt der Schläger seine Arme siegreich empor – den Säbel in der einen, die Gans in der anderen Hand. Er wird die Gans in einem Wirtshaus zubereiten lassen und noch am selben Abend gemeinsam mit Freunden verspeisen.
Die Gans als Zückerchen für das Volk
Die ältesten Quellen belegen, dass die Gansabhauet bereits anfangs des 19. Jahrhunderts praktiziert wurde. Michael Blatter, Surseer Stadtarchivar und Präsident der Kommission Gansabhauet, ist sich jedoch sicher, dass der Brauch älter ist: «Bräuche und Spiele mit Gänsen waren schon vorher weit in ganz Europa verbreitet». Woher der Brauch, der alljährlich ein grosses Medienecho auslöst, aber genau kommt, ist nicht bekannt. Der Martinstag (11. 11.) war ein weitverbreiteter Zins- und Zehntentag. Vermutlich haben die früheren Zinsherren und Kreditgeber an jenem Tag jeweils eine Gans für das Volk springenlassen – als Zückerchen für das Volk sozusagen.
Die Gans war äusserst wertvoll
Dass der Anlass brachial anmuten und den Eindruck von Respektlosigkeit erwecken kann, ist verständlich. So sieht sich die Gansabhauet immer wieder Kritik ausgesetzt. Im Zentrum steht schliesslich die grundlegende Frage nach dem Umgang vom Menschen mit dem Tier. Es eröffnet sich einem nicht sofort, aber «die Gans war in der Vormoderne ein äusserst wertvolles Tier und ein unvorstellbar attraktiver Preis», hält Blatter fest. Diese Wertschätzung für die Gans spielt eine wichtige Rolle in der Entstehung der Gansabhauet.
Faszinierend finde ich, dass der Anlass von offizieller Seite kaum gesteuert wird, wie mir Michael Blatter erzählt. Es sind die Menschen, die sich Jahr für Jahr als Schlägerinnen und Schläger einschreiben oder als Besuchende in die Altstadt von Sursee pilgern und den Brauch somit weiterleben lassen.
Gansabhauet Sursee
Datum: Jährlich am 11. November, ab 15.00 Uhr
Ort: Altstadt Sursee
Infos und Tipps
- Gansabhauet Sursee
- mehr Aktivitäten in der Region Sempach
- Brauchtum & Nostalgie in der Region Luzern-Vierwaldstättersee
alle Fotos stammen von © Bruno Meier, Sursee