Der 500-jährige Brauch, der noch heute gelebt wird

Kategorien Sempachersee, Tradition

Tausende von Zuschauenden blicken ehrfürchtig, wenn der imposante Tross aus über einhundert Pferden am Auffahrtsumritt in den Dorfkern, den Flecken, von Beromünster einzieht. Es ist ein uralter Brauch, der 2019 zum 510. Mal durchgeführt wird. Kommandant Pius Muff erzählt mir, was dieses uralte religiöse Ritual so einzigartig macht. Der Auffahrtsumritt beginnt, noch bevor die Sonne aufgegangen ist.

«Wer die Magie des Auffahrtsumrittes erleben will, der ist schon beim Morgengrauen dabei», erzählt mir Pius Muff mit einem Blitzen in den Augen. Er ist schon seit 20 Jahren Kommandant des Auffahrtsumrittes und hält in dieser Funktion alle Fäden in der Hand. Morgengrauen heisst halb Sechs in der Frühe: dann setzt sich die Prozession in Gang – voraus die Fusspilger, hinterher der Reitertross. In den nächsten Stunden zieht der Bittgang entlang einer seit Jahrhunderten mehr oder weniger unveränderten Route entlang der Pfarreigrenze, hält unterwegs immer wieder an um gemeinsam zu beten, eine Predigt zu sprechen oder einem Evangelium zu lauschen.

Um 14:00 Uhr herum dann der grosse Einritt im «Fläcke» von Beromünster. Voraus die Kavalleristen des Ordnungsdienstes, es folgen Fahnen- und Laternenträger, dann die eindrückliche Reitermusik, Musikant und Pferd in voller Uniform und etwas weiter hinten schliesslich der Leutprister unter dem Baldachin, welcher von vier Reitern mitgetragen wird. Ein einmaliges Schauspiel, welches Jahr für Jahr Tausende anzieht.

Der Einritt der Prozession im Fläcke zieht jeweils Tausende von Zuschauenden an.

«Die Auffahrt ist das Grösste für mich»

Antwortet Pius Muff auf die Frage, was denn der Anlass für ihn bedeute. «Wenn alle am Morgen die Pferde besteigen, alles zusammenkommt, dann bekomme ich Hühnerhaut», erzählt er mit deutlich hörbarer Passion in der Stimme. Voraus geht diesem Moment viel ehrenamtliches Engagement – welches von ihm, von den Mitgliedern der Kirche und der Musik, aber auch von unzähligen Bürgerinnen und Bürgern gerne erbracht wird. Denn die Anwohnenden des Prozessionsweges sind es, die die Triumphbögen bauen und schmücken, welche die Haltestationen des Umrittes markieren. «Ohne dieses Engagement ginge es nicht», so Kommandant Muff, der jeweils kurz vor dem Einzug in den Fläcke zur berittenen Musik dazustösst und auf dem Pferd reitend die Pauke spielt.

Kommandant Pius Muff ist ein erfahrener Reiter. Beim Einritt in den Fläcke übernimmt er jeweils die anspruchsvolle Position des Paukenspielers, in welcher er das Pferd lediglich mit den Beinen steuert.

Eine Reitmusik, wie es nur noch wenige gibt

Die Reitmusik ist ein besonderes Extra dieses an sich schon einzigartigen Brauchtums, welches zum offiziellen Bestand des immateriellen Kulturerbes der Schweiz gehört. Die Reitmusik «verleiht dem Brauchanlass nebst der charakteristischen musikalischen Grundierung einen kräftigen Schuss Exklusivität und Spektakel, zumal das harmonische Musizieren hoch zu Ross einiges an Geschicklichkeit verlangt und es in der Schweiz auch nur noch eine Handvoll solch berittener Formationen gibt», heisst es im offiziellen Beschrieb.

Ein Blick in die Geschichtsbücher offenbart: 1420, so der älteste Nachweis, ritt ein Pfarrer mit einer kleinen Gefolgschaft die Möischterer Pfarreigrenze ab und bat Gott um Schutz für Tiere, Menschen und Felder. Im Jahre 1509 rief der Probst des Kollegiatsstifts Beromünster schliesslich aus, es möge alljährlich an Auffahrt eine Flurprozession durchgeführt werden. Der Grundstein für die Tradition war gelegt. Seit jenem Tag wurde der Brauch jedes Jahr durchgeführt.

Kommandant Muff und ich sind uns einig: Es ist faszinierend, dass diese Tradition auch heute, mehr als ein halbes Jahrtausend später, noch immer gelebt wird.

Der Zug umfasst jeweils 100 bis 150 Pferde. Wie viele Fusspilger jeweils am der Prozession teilnehmen, ist schwer zu sagen. Kontinuierlich stossen Menschen zum Bittgang dazu oder verlassen ihn wieder.
Denkt man sich den Kondensstreifen des Flugzeuges am Himmel weg, dann könnte diese Aufnahme genau so gut vor 500 Jahren entstanden sein.

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alle Fotos stammen von © Ludwig Suter, Beromünster

Marco ist am Sempachersee aufgewachsen und kennt die Region wie seine Westentasche. Das Schreiben ist seine Passion und er glaubt ungebrochen an die Kraft von spannenden Geschichten. Das hat er zu seinem Beruf gemacht und heute ist er digitaler Marketer und selbstständiger Contentprofi. Marco bloggt für Sempachersee Tourismus, spricht fliessend Digital, fotografiert leidenschaftlich, rennt, klettert, übernachtet im Zelt und seit er einen VW-Bus besitzt, besteigt er eigentlich kaum noch ein Flugzeug.

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