…leg ihn lieber ein! Das ist definitiv die Devise des Fermentierkurses, den ich letztens in der UNESCO Biosphäre Entlebuch besuchen durfte. Gemeinsam mit Kursleiterin Erika Bieri haben wir die Dos and Dont’s der Fermentation verinnerlicht und uns selbst ans Eingemachte gemacht (ha ha).

Wenn ich an Fermentieren denke, explodieren vor meinem geistigen Auge bereits die Kombucha-Flaschen. Weisst du, die aus den witzigen Instagram-Fail-Videos, die du dir um 23:30 Uhr mit einem halb eingeschlafenen Auge im tiefsten Doomscrolling reinziehst, obwohl du HAARGENAU weisst, dass du morgen um 8 Uhr wieder quietschfidel auf der Matte stehen musst. Genau die.  

Damit mir das bei meiner eigenen DIY-Kombucha-Spassexpedition zu Hause nicht passiert, besuche ich einen Fermentierkurs in der UNESCO Biosphäre Entlebuch. Finde ich super, denn nebst Kombucha gehört auch Kimchi zur Kategorie «Mega lecker, aber selbst herstellen? NE-VER». Fermentieren – das ist doch viel zu kompliziert! Dachte ich zumindest immer. Und jetzt schreibe ich diesen Blogbeitrag, während in meiner Küche bereits die Zweitfermentation meines Grüntee-Orangen-Kombuchas genüsslich vor sich hin blubbert. How the turntables (iykyk ;)).

Ein Beweisfoto gibt’s ganz am Ende des Beitrags.

Damit werden wir heute arbeiten – Gemüse in all seinen Farben, Formen und Fermentationsarten

The Good Stuff

Das Fermentier-Abenteuer für Unerschrockene erwartet mich in der Schulküche des BBZN in Schüpfheim. Das letzte Mal, dass ich mich in einer Schulküche aufgehalten habe, war im Hauswirtschaftsunterricht in der zweiten Oberstufe. Mit 9,5 Fingern, weil sich Frau Bosco natürlich eine Woche vor der grossen Abschlussprüfung noch freestyle das Fingerbeeri vom kleinen Finger abschnetzeln musste. Typisch.

Erika selbst fermentiert (fast) alles, was ihr über den Weg läuft

In der Küche lächelt uns bereits Erika Bieri, Bäuerin, Fermentista und heutige Kursleiterin entgegen. Bewaffnet mit Kursmaterialien und selbst gebackenem Sauerteigbrot begrüsst sie uns in der Welt der Milchsäurebakterien. Winzigkleine Rockstars, welche von Natur aus bereits in und auf dem Gemüse angesiedelt sind. Unter Ausschluss von Sauerstoff wandeln sie das Gemüse im Gärprozess zu «lebendiger Nahrung» um.

So könnte jeder Tag starten: Frisches Sauerteigbrot zum Frühstück

Bevor wir überhaupt einen Grünkohl in die Finger kriegen, möchte uns Erika über die Gesundheitsvorteile von fermentiertem Gemüse aufklären. Durch die Milchsäuregärung wird das Gemüse mit wertvollen Probiotika, Vitaminen, Mineralstoffen, Enzymen und Antioxidantien angereichert. Es folgt eine Liste:

Fermentiertes Gemüse…

  • stärkt das Immunsystem
  • regt den Appetit und die Verdauung an
  • ist leicht verdaulich (da die Bakterien das Gemüse bereits für uns vorverdauen. mercii)
  • sättigt bei geringem Kaloriengehalt
  • senkt den Blutdruck und Cholesterinspiegel
  • kann präventiv gegen Magengeschwüre und Krebs helfen

Wer mehr Fermentiertes isst, hat zudem weniger Lust auf Süsses (perfekt für notorische Naschkatzen und -kater). Beim Gärungsprozess von Kohl entsteht sogar ein Stoff (Acetylcholin), der wie ein natürliches Antidepressivum wirkt und sich positiv auf das vegetative Nervensystem auswirkt.

Man reiche mir den Kohl.

Für die Fermentation am besten frisches, unbehandeltes Bio-Gemüse nehmen
Eines der beliebten Enzymgetränke: Kombucha inkl. Scoby-Hotel

Eine Wohltat für Gaumen und Magen

Zur Erfrischung schenkt uns Erika ein Gläschen mit Wasserkefir ein. Ich schnuppere vorsichtig an der hellgelben Flüssigkeit und nehme einen mutigen Schluck. «Mmmmmhhh!» – Mit weit aufgerissenen Augen wechseln wir in der Runde geschmackserfüllte Blicke. «Das ist aber mal lecker!» – Kopfnicken – von links bis rechts.

(Spoiler: Ja, vielleicht liegt es auch daran, dass ein mehr oder weniger scheuer Gutsch Zucker drinsteckt. Dieser wird jedoch während des Fermentationsprozesses in Kohlensäure umgewandelt und damit stark reduziert. So, no worries).

Nach diesem leckeren Kopfsprung in die Welt der Fermentation können wir es kaum erwarten, uns kopfüber in die Zubereitung des Mittagessens zu stürzen. Analog zu den Milchsäurebakterien arbeiten auch wir miteinander und füreinander. Wir teilen uns in vier Gruppen auf und Erika erklärt uns den angestrebten Menüplan sowie den Twist der Geschichte dahinter: Jedes Gericht wurde mit etwas Fermentiertem verfeinert, das Erika bereits im Vorfeld eingelegt und mit viel Liebe in unzählige Gläser abgefüllt hat.

Ich lande in der «Randencarpaccio – Quinoa-Salat – gedämpfter Wirz»-Gruppe (drei separate Gerichte, wohlgemerkt, nicht alles in einem). Während ich konzentriert in konzentrischen Kreisen im köchelnden Quinoa rühre, lasse ich den Blick über die anderen Küchenzeilen schweifen. Hinter mir werden Kirchenerbsen für den Hummusaufstrich mit fermentierten Peperoni püriert, daneben Teig für den Sauerteigflammkuchen mit Federkohl ausgerollt und noch eine Ablage weiter vorne Äpfel für die Apfelcreme mit hausgemachtem Quark geschält. Der Laden läuft, und mir das Wasser im Mund zusammen.

In einer Rekordzeit von gefühlt 30 Minuten steht das Buffet um Punkt 12 Uhr bereit. Allein für das Schälen und Schneiden der Randen hätte ich schon 15 Minuten gebraucht, aber mit meinen 9,5 Fingerbeeri bin ich wohl auch keine gute Referenz.

Wir befüllen unsere Teller und sorgen dafür, dass wir auch von jedem Gericht eine Kostprobe abstauben. Und siehe da: Selbst die Sauerkraut-Skeptiker:innen kommen aus dem Schwärmen, für das bis vor fünf Minuten verachtete Gemüse, gar nicht mehr heraus.

Maincharacter-Energy

Am Mittagstisch unterhalten wir uns – natürlich – übers Fermentieren. Ich brauche einen Moment, um zu realisieren, dass es sich bei «Er heisst Emil», «Ist deiner auch adult?», «Du musst ihn täglich füttern» und «Verdoppelt sich deiner auch so schnell?» um eine Konversation über Sauerteige handelt. Menschen geben ihren Sauerteigen tatsächlich Namen. Ich stelle mir gerade das entsprechende Hinge-Profil vor. Emil, erwachsen, steht mit beiden Beinen im Leben, braucht viel Pflege, will täglich gefüttert werden. Okay, vielleicht weniger Hinge, mehr Tamagotchi. So oder so: Sauerteige – Maximale Maincharacter Energy.
Am Mittagstisch unterhalten wir uns – natürlich – übers Fermentieren. Ich brauche einen Moment, um zu realisieren, dass es sich bei «Er heisst Emil», «Ist deiner auch adult?», «Du musst ihn täglich füttern» und «Verdoppelt sich deiner auch so schnell?» um eine Konversation über Sauerteige handelt. Menschen geben ihren Sauerteigen tatsächlich Namen. Ich stelle mir gerade das entsprechende Hinge-Profil vor. Emil, erwachsen, steht mit beiden Beinen im Leben, braucht viel Pflege, will täglich gefüttert werden. Okay, vielleicht weniger Hinge, mehr Tamagotchi. So oder so: Sauerteige – Maximale Maincharacter Energy.

Als ich aus der Pause zurückkehre, hat die Konversation geshiftet zu «Er ist 15 Jahre älter als meine Schwester» sowie «Er ist im lernfähigen Alter» und ich frage mich ehrlich, ob wir immer noch über Sauerteige reden…

Erika zeigt, wie’s geht

Wir machen uns ans Eingemachte

Am Nachmittag steht das Herzstück des heutigen Kurstages auf dem Programm: Wir fermentieren Gemüse. Erneut teilen wir uns in zwei Gruppen auf und Erika leitet uns durch die beiden Fermentationstechniken.

  1. Fermentieren im eigenen Saft (mit der Zugabe von Salz)
  2. Fermentieren in einer Salzlake

Fürs Fermentieren braucht es Gemüse. Vieeeeeel Gemüse.

Während auf unserer Küchenablage Karotten, Federkohl, Fenchel, Peperoni, Kürbis, Stangensellerie und Rosenkohl in einer übergrossen Edelstahlschüssel verschwinden, raffelt die andere Gruppe den Chabis für den Kimchi. Schon der Anblick der scharfen Klinge löst bei mir PTSD aus, und auch die abgetrennten Nervenenden in meinem kleinen Finger zucken in vager Erinnerung.

Anschliessend wir der gefühlt fünf Kilogramm schwere Chabis-Karotten-Hügel mit Salz bestreut und in einer riesigen Wanne herzhaft geknetet. «Ganz wichtig dabei ist, dass man das mit Herzblut macht! Das wirkt sich auf den Geschmack aus!», ermuntert uns Erika oder besser gesagt Florian, der die ehrenvolle Aufgabe des Knetens gefasst hat.

Zu guter Letzt gilt es das knackig-bunte Gemüse in die Gläser abzufüllen und mit einem sogenannten «Deckblatt» zu verschliessen, damit es nicht mit Sauerstoff in Berührung kommt. Während Erika das Deckblatt in vier bis fünf beherzten Handgriffen sauber in die richtige Position bringt, kippe ich beim gleichen Prozess, gefühlt die halbe Salzlake wieder aus dem Glas und muss dann doch Erika zu Hilfe rufen. Hauswirtschaftsunterricht – 2. Kanti – zäck, da beni weder.

Was bei Erika so einfach aussieht, erfordert von uns viel Geduld und Konzentration

Ein Hotel für «gschaffige» Pilze

Doch damit nicht genug. Nachdem das frische Gemüse für die nächsten drei bis sechs Wochen nun seinem eigenen Schicksal überlassen wird, erklärt uns Erika, was sich sonst noch alles fermentieren lässt. Wir erhalten Tipps und Tricks, wie das beste Sauerteigbrot gelingt, wie mensch Quark und Joghurt selbst herstellt und natürlich auch, wie mein liebstes Gärgetränk, Kombucha, zubereitet wird.

Sieeeeee?! Es ist wie in der Schule: Frau Bieri hilft, wo sie nur kann

Für unseren eigenen Kombucha erhalten wir von Erika 1 dl Ansatzflüssigkeit eines bereits fertig fermentierten Artgenossen sowie den dafür nötigen Scoby-Teepilz. Meine Gedanken wandern automatisch zur Zeichentrickserie Scooby-Doo und ich stelle mir vor wie Gilbert (wenn Leute ihren Sauerteig taufen können, kann ich auch meinem Teepilz einen Namen geben) die bösen Geister aus dem Tee vertreibt. «Den musst du in den nächsten zwei Tagen gleich wieder ansetzen» erinnert mich Erika. Ich nicke, als wüsste ich genau, was als Nächstes zu tun ist, packe meine fertigen Gläser ein und bedanke mich für den lehrreichen Tag.

Fermentiertes Gemüse in einer Salzlake
Fermentiertes Gemüse im eigenen Saft

Zuhause braue ich sogleich den Tee für meinen Kombucha. Dafür kann sowohl Grün- als auch Schwarztee verwendet werden, wichtig ist nur, dass der Tee stark und unparfümiert ist, sonst ist der Pilz unterfordert (Gilbert ist halt einfach ein «Krampfer»). Anschliessend kippe ich die angegebene Menge Rohrzucker rein, lasse Gilbert mitsamt der Ansatzflüssigkeit hineingleiten und verschliesse den Miraculix-Zaubertrank mit einem Haushaltspapier.

Et voilà. Sieht doch schon mal nicht schlecht aus.

Nach einer Woche ist die Erstfermentation abgeschlossen und Gilbert darf sich mit etwas Ansatzflüssigkeit ans nächste Projekt wagen. Wer seinen Teepilz nicht direkt weiterverwenden möchte, kann ihn auch in ein sogenanntes «Scoby-Hotel» einchecken lassen und dort aufbewahren, bis der Kombucha-Durst erneut hochkommt.

Explosionsgefahr on a daily basis

Für die Zweitfermentation gebe ich Orangen hinzu, schliesse nun definitiv den Deckel, damit sich die Kohlensäure bilden kann und lasse das Hexengebräu zwei Tage bei Raumtemperatur weiter fermentieren. Dann: Orangen raus und die explosive Mischung wandert in den Kühlschrank.

Und was soll ich sagen: Es schmeckt! Und ja, die Angst, dass sich der Flascheninhalt schäumend und klebrig wie Konfetti an meine Küchendecke verteilt und alle Wände tapeziert, ist bei jeder Flaschenöffnung allgegenwärtig. Darum lüfte ich das gute Stück nun täglich. Ich mag ja bekanntlich eh nicht so viel Kohlensäure in meinen Getränken.

In dem Sinne: Cheers!

So sieht die Zweitfermentation aus (minus das Chaos). Im Hintergrund geniesst Gilbert seine ruhigen fünf Minuten bevor’s zur nächsten Erstfermentation geht.

Weitere Informationen & Links


Mehr Erlebnisse in der Region

Egal ob im Tanzstudio oder an der Bushaltestelle, Laila ist immer tanzend anzutreffen. Mit einem Lachen im Gesicht und einer Fotokamera in der Hand sucht die gebürtige Luzernerin überall nach Geschichten und Menschen die sie inspirieren. Oder einfach nach weiteren Orten um tanzen zu können. Mehr von Laila auf www.laila-schreibt.com

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert